DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Partyzeit

Ich habe mit meinem Nachbarn geplaudert und wir stehen noch ein wenig am Zaun. Eigentlich würden wir uns jetzt verabschieden, aber es ist ein so schöner Herbstabend, wir haben wohl beide noch keine Lust ins Haus zu gehen. Ich überlege, was ich noch ansprechen könnte, da fällt mir etwas ein: „Du hast doch neulich gesagt, Gretas Forderungen rütteln an den Grundfesten unseres Systems, oder?“

Er nickt.

„Da wollte ich dich schon lange mal fragen, wieso eigentlich? Wie meinst du das?“ und füge noch an: „Für mich hört sich das übertrieben an.“

Er überlegt. „Das schaffen wir heute Abend nicht mehr, nicht vor dem Abendessen – aber wir können ja mal anfangen“, er wiegt den Kopf. „Zunächst mal, was sind denn ihre Forderungen? Da hört man erstaunlich wenig von, aber man kann es glaube ich zusammenfassen zu: Hört auf die Wissenschaft!“

„Ja“, sage ich, „und: Macht das, was im Klimaabkommen steht!“

Er nickt anerkennend „Genau, jedenfalls mindestens das. Es hängt natürlich beides zusammen, aber okay.“

„Also“, sage ich, „auf dieses Abkommen haben sich doch alle Staaten verpflichtet, also ist es ja wohl möglich das zu machen, oder?“

Er wiegt den Kopf, „nicht alle Staaten und die Ziele sind recht vage formuliert, aber okay, mach weiter.“

Ich überlege, „also, wenn sich die großen Wirtschaftsnationen mal darauf verständigen konnten, dann werden sie es doch als technisch machbar angesehen haben – und nicht als etwas, das alles über den Haufen wirft. Ich meine, dann fahren wir eben E-Autos und müssen irgendwas entwickeln, was das CO2 aus der Luft holt. Vielleicht fliegen wir sogar ein bisschen weniger. Das wird schon gehen.“ Ich bin da sehr zuversichtlich. „Schließlich kriegen wir doch jetzt auch die CO2-Steuer“, fällt mir noch ein.

Mein Nachbar sieht irgendwie amüsiert aus.

„Was lachst du?“, frage ich ihn. „Ist es nicht so?“

Er schüttelt grinsend den Kopf. „Ich hätte mich nicht drauf einlassen sollen – wo soll man da anfangen?“ Er sagt es mehr zu sich selbst.

„Alter Freund“, sagt er dann, „du machst dir keine Vorstellung von den Dimensionen um die es geht. Wir – also die entwickelten Nationen – haben einen unfassbar exzessiven Lebensstil entwickelt. Tag für Tag werfen wir die Ressourcen der Erde mit vollen Händen zum Fenster hinaus. In nur etwa sechzig Jahren haben wir es geschafft, die Erde an den Rand des Kollaps zu führen! Stell dir das vor“, er sagt es sehr eindringlich, „sechzig Jahre!“

Seine Ernsthaftigkeit beeindruckt mich, aber ich will mich nicht beunruhigen lassen. Ich glaube einfach nicht, dass es da Probleme gibt, die sich nicht lösen ließen. „Ich kann mir das nicht vorstellen“, sage ich. „Alles ist doch ganz normal; wie immer eben und die Technik entwickelt sich doch ständig weiter.“

Er wiegt nachdenklich den Kopf, „Pass auf“, sagt er, „lass uns da ein anderes Mal drüber reden. Ich muss gleich rein, mein Auflauf ist fertig. Aber ich würde dir gerne schon mal ganz kurz beschreiben, wie sich meine Sicht darauf geändert hat – vielleicht findest du das interessant.“

Ich nicke zustimmend.

„Also“, hebt er an, „bis vor kurzem betrachtete ich die Umweltzerstörung nach dem ‚Millionen-Erben‘-Modell.“

„Hääh“, sage ich. Ich verstehe kein Wort.

„Na, du kennst doch auch diese Fälle junger Erben großer Vermögen, wo man als Außenstehender nur den Kopf schütteln kann.“

Ich schüttle den Kopf. „Keine Ahnung wovon du sprichst“, sage ich.

„Ich meine folgendes: Man hört immer wieder von Fällen, wo junge Leute sehr viel Geld erben, Firmen, Ländereien, was auch immer – und alles in wenigen Jahren durchbringen. Rauschende Partys geben, jeden Luxus kaufen, der ihnen gerade einfällt, schlecht investieren, ein irre aufwendigen Lebensstil pflegen und so weiter. Ein paar Jahre geht das gut, es ist reichlich Vermögen da, aber irgendwann ist eben Ende Gelände.“

Ich nicke nun doch. „Klar“, sage ich, „von solchen Fällen habe ich auch schon gehört.“

„Ja“, sagt mein Nachbar, „und das war immer für mich das Bild für den Umgang der Menschheit mit der Umwelt: Wir haben ein großartiges Erbe, aber wir verschleudern es, als gäbe es kein Morgen.“

„Das ist ja ein bedrückendes Bild“, sage ich. „Aber jetzt siehst du es nicht mehr so, sagst du?“ Ich bin irgendwie hoffnungsvoll.

„Nein“, sagt er. „Mir wurde klar, dass mein Vergleich einen entscheidenden Fehler hat.“

„Aha“, sage ich, „welchen denn?“

„Für die jungen Schnösel, die ihr Erbe verschleudern, ist das am Ende zwar blöd, sie sind nun arm – aber das Geld ist ja nicht weg.“

„Es gehört jetzt nur jemand anderem“, ergänze ich.

„Genau. Aber so ist es mit der Natur ja nicht, weg ist weg. Ressourcen sind aufgebraucht, Arten ausgerottet, Böden vergiftet oder ausgelaugt und so weiter“, sagt er und schüttelt den Kopf.

Er sieht mich an, „ich sehe es jetzt eher wie eine aus dem Ruder gelaufene Party: Die Eltern sind über’s Wochenende weg, die Kinder im Teenageralter laden zur Party, es kommen viel mehr Leute als geplant, der Weinkeller wird geplündert, alle sind außer Rand und Band, haben einen riesen Spaß, aber am Schluss ist das Haus abgebrannt, das Feuer hat sich im ganzen Viertel ausgebreitet, der Schaden ist gigantisch und die Familie obdachlos.“

Er sieht mich an. „Die Frage ist nun, wollen wir mit der Party aufhören, solange es noch geordnet möglich ist und uns später an eine schöne Zeit erinnern – oder machen wir weiter?“

„So schlimm?“ sage ich.

Er nickt.