DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Geldprobleme

Mein Nachbar steht auf seine Harke gestützt im Garten und schaut in den Himmel.

„Na“, sage ich, „über welche großen Menschheitsfragen denkst du gerade nach?“.

Er zuckt zusammen und dreht sich zu mir um. „Hast du mich erschreckt“, sagt er. Und fügt mit bedeutungsvoller Stimme an: „Über die größte aller Fragen“.

„Hui“, sage ich, „Und, was ist der Sinn des Lebens?“

„Okay“, sagt er, „nicht über die allergrößte. Ich denke über die wichtigste Sache nach, die es für die Menschen gibt.“

„Das sind aber doch vier – sagst du jedenfalls sonst immer: Luft zum Atmen, Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf. Denkst du jetzt über Luft nach?“ Ich schaue ihn fragend an.

„So schlaue Sachen sage ich?“, er nickt anerkennend. „Sieh mal einer an. Und du bist heute ja mal außergewöhnlich genau – man könnte dich fast einen Oberlehrer nennen“, er sieht mich grinsend an.

Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich ein bisschen geschmeichelt. Trotzdem schüttle ich unwillig den Kopf, „also, was beschäftigt dich denn nun?“.

„Geld“, sagt er. Und es scheint ihm fast ein bisschen peinlich zu sein.

„Brauchst du was?“, sage ich überrascht. „Soll ich dir was leihen?“

„Nein“, sagt er. „Vielen Dank mein Lieber. Mich beschäftigt, dass ich Geld nicht verstehe.“

Ich bin verwirrt. „Was gibt’s denn da groß zu verstehen? Man hat immer zu wenig, alles ist zu teuer und das bisschen was wir haben, will uns der Staat auch noch abknöpfen.“ Ich zögere, „aber zugegeben, wichtig ist es.“

„Dachte ich mir“, sagt er, „dass wir uns da einig sind. Ja, für die allermeisten Menschen ist es das Allerwichtigste. Das, wonach sie ihr Leben ausrichten“, er zögert, „meist sogar ausrichten müssen. Aber auch das, woran sich die Politik orientiert. Und das, was unsere Gesellschaften formt. Und letzten Endes auch das, was unser gesamtes Lebensumfeld gestaltet und gerade dabei ist, den Planeten zu ruinieren. Und ist es da nicht sonderbar“, er macht eine Pause, „dass wir darüber so wenig wissen?“ Er schaut mich fragend an.

„Ist das denn so?“, frage ich. „Ich meine, wissen wir darüber so wenig? Es gibt große und kleine Scheine, verschiedene Währungen, alles hat seinen Preis und manche Menschen tun für Geld alles.“ Ich überlege. „Ach so, und dann gibt’s natürlich auch noch Zinsen – jedenfalls soll das früher angeblich mal so gewesen sein.“ Ich grinse. „Und manchmal ist Inflation, das ist doof, weil man dann mit einer Schubkarre voll Geld zum Bäcker gehen muss. Habe ich was vergessen?“ Ich schaue ihn fragend an.

„Manchmal frage ich mich wirklich“, sagt er, „was ich mir eigentlich immer für Probleme mache … wo doch alles so einfach ist“.

„Ja“, stimme ich ihm zu, „das frage ich mich auch immer“.

Er runzelt die Stirn.

„Ich meine dich“, erkläre ich schnell, „also, warum du das immer machst“.

„Ja, so’n Quatsch, oder?“, er schüttelt den Kopf. „Aber mal im Ernst, ich finde Geld ungeheuer schwierig. So gut wie alles was damit zusammenhängt“, sagt er, „verstehe ich nicht. Und dann frage ich mich, warum wir darüber nichts in der Schule lernen. Da werden wir mit Unmengen Zeug vollgestopft, das Nullkommanix mit unserem Leben zu tun hat. Aber darüber wie die Geldwirtschaft funktioniert, lernen wir so gut wie nichts.“

„Und ich verstehe wirklich nicht“, sage ich und sehe ihn fragend an, „was daran so schwierig sein soll“.

Er schürzt die Lippen und überlegt. „Ich finde es derartig schwierig“, sagt er schließlich, „dass ich noch nicht mal weiß, wie ich dir kurz und knapp meine Probleme damit klar machen soll. Für mich ist es ein einziges großes Rätsel.“

„Versuch‘s doch mal“, sage ich, „ich habe gerade sowieso nichts Besseres vor“. Und außerdem höre ich ihm gerne zu, wenn er seine sonderbaren Probleme wälzt. Aber das sage ich ihm natürlich nicht.

„Na schön“, sagt mein Nachbar. „Also zum Einen ist mir die ganze Magie des Geldes unklar und irgendwie unheimlich. Aber vielleicht erstmal ein paar Beispiele“, und er fängt an aufzuzählen: „Ich verstehe nicht, wieso Geld meist als Ressource betrachtet wird. Ich verstehe nicht, wieso sich der Staat Geld leiht, obwohl er es doch ist, der es erschafft. Ich verstehe nicht, warum wir von einem Geldkreislauf sprechen, obwohl es sich doch offensichtlich an einigen Stellen massiv ansammelt. Ich verstehe den Unterschied zwischen Bargeld und Geld auf dem Konto nicht. Und ich verstehe vor allem nicht, wieso wir zugelassen haben, dass Geld eine derartige Bedeutung erlangt.“ Er stößt die Luft aus, „Ich hab noch viel mehr Fragen, aber für’s erste soll das reichen“.

Ich wiederum verstehe immer noch nicht, worum es ihm geht, aber einen Ansatz habe ich: „Was meinst du denn mit ‚Magie des Geldes‘“, frage ich. „Dass es von selbst immer weniger zu werden scheint?“

„Siehst du“, sagt er mit hohler Stimme, „dir ist es auch unheimlich“. Er lacht. „Aber ich meine natürlich etwas anderes …, wie kann ich dir das erklären?“, er überlegt. „Pass auf, es gibt eine wunderbare Filmszene, die vielleicht hilft. Der Film heißt ‚Das Wunder von Wörgl‘ und er erzählt eine reale Geschichte, die sich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in Österreich abgespielt hat. Die kleine Gemeinde hat damals mit viel Erfolg eine eigene Währung eingeführt und damit die örtliche Wirtschaft am Laufen gehalten. Aber um diese Regionalwährung geht es mir gar nicht; nur um diese Szene: Der Bürgermeister will den Gemeinderat von seiner Idee überzeugen und erzählt ihnen eine Geschichte. Die geht so: Ins Hotel kommt ein Gast von außerhalb, sagt, er will zwei Tage bleiben und bezahlt 100 Mark im Voraus. Der Hotelier ist überglücklich, läuft mit dem Geldschein zum Bäcker und bezahlt bei dem seine Schulden. Der Bäcker genauso, kaum ist der Hotelier zur Tür raus, läuft er zum Schreiner und bezahlt bei ihm ebenso seine Schulden. Der Schreiner geht dann mit dem Schein zum Holzhändler, der zum Fleischer und der schließlich zu einer Dame – wahrscheinlich der örtlichen Prostituierten – alle bezahlen ihre Schulden. Die Dame schließlich geht ins Hotel und begleicht beim Hotelier mit den 100 Mark ihre offene Rechnung. In dem Moment kommt der Gast die Treppe hinunter, sagt, er habe es sich anders überlegt, nimmt den Schein und verschwindet.“

Mein Nachbar schaut mich an. „Ist das nicht wunderbar?“, fragt er.

Ich runzle die Stirn.

„Na, für niemanden hat sich an dem, was er tatsächlich besitzt irgendetwas geändert. Gleichwohl sind plötzlich alle ihre Schulden los. Ich finde das geradezu magisch.“

„Na ja“, sage ich, „das ist aber auch eine ziemlich künstliche Situation. Alle haben genau gleich hohe Schulden und zum Glück hat die Dame auch noch im Hotel eine Rechnung offen – ziemlich an den Haaren herbeigezogen finde ich.“

„Zugegeben“, sagt er. „Aber es geht ja auch nur um’s Prinzip. Theoretisch wäre die Situation möglich.“

„Schon“, sage ich. „Aber was willst du mir denn damit sagen? Dass man, wenn alle Schulden haben, diese auch einfach streichen könnte?“

Er stutzt. „Da bin ich noch gar nicht drauf gekommen“, sagt er. „Schöne Idee. Muss ich mal drüber nachdenken. Nee, ich meinte es als Beispiel für Geldmagie: Man reicht ein Stück Papier herum, jeder berührt es und danach sind alle ihre Schulden los. Ist doch irre!“

„Ich verstehe wirklich nicht, was das mit Magie zu tun haben soll“, sage ich, „aber die Geschichte ist hübsch, gebe ich zu. Und was war das sonst noch …“, ich überlege, „ach ja, du fragst dich, wieso Geld als Ressource betrachtet wird. Was meinst du eigentlich damit?“

„Na ja“, sagt er, „eine Ressource ist ja an sich etwas Reales, wie Rohstoffe, Benzin, Nahrungsmittel, Baustoffe, Arbeitskraft, was auch immer. Momentan zum Beispiel Schutzmasken.“

„Klar“, sage ich.

„Und meist wird der Begriff in Zusammenhang mit ungünstigen Umständen gebraucht, also zum Beispiel wenn zu hoher Ressourcenverbrauch bemängelt wird oder bestimmte Ressourcen knapp werden, z.B. Wasser.“

„Stimmt“, sage ich, „ist mir auch schon aufgefallen“.

„Und mit Geld ist es ganz genauso“, fährt er fort. „Insbesondere wenn es darum geht, ob der Staat für irgendetwas Geld ausgeben soll. Da ist es immer knapp. Aber Geld ist keine endliche Ressource, es ist nur ein Hilfsmittel, das Geschäfte erleichtert.“

„Also ich kenne jede Menge Leute die dir da heftig widersprechen würden“, sage ich, „weil bei ihnen das Geld nämlich grundsätzlich knapp ist“.

„Natürlich“, grinst mein Nachbar, „das brauchst du mir nicht sagen. Ich hab die meiste Zeit meines Lebens von der Hand im Mund gelebt. Aber ein Mensch ist ja auch etwas völlig anderes als ein Staat, der sein eigenes Geld erschafft.“

Ich überlege und will etwas von Inflation und Steueraufkommen sagen, aber da fährt er auch schon fort: „Und auf der menschlichen Seite ist es so ähnlich – nur andersherum“.

„Staatsausgaben andersherum?“, frage ich verwirrt.

„Nein“, sagt er geduldig, „Geld als Ressource zu betrachten. Aber nicht als eine, an der Mangel herrscht, sondern von der man möglichst viel haben sollte.“

„Soll das jetzt eine Überleitung zu unserer offenen Milliardärsdiskussion werden?“, frage ich.

Er überlegt. „Nö“, sagt er schließlich. „Das besprechen wir mal ganz für sich – aber manche Dinge hängen natürlich zusammen. Ich meine folgendes: Das Ziel vieler Geschäfte und Unternehmungen ist es Geld zu machen um hinterher mehr davon zu haben.“

„Ich würde mal sagen, das ist das Ziel jedes Geschäfts“, werfe ich ein.

„Das sehe ich nicht so“, sagt er, „aber ich habe mich tatsächlich missverständlich ausgedrückt. Ich meine zweierlei: Zum einen machen viele Leute – und da kommen wir tatsächlich zu den Reichen und sehr Reichen – Geschäfte, mit dem einzigen Zweck, ihr bereits vorhandenes Vermögen noch weiter zu vergrößern. Als hätte Geld an sich irgendeinen Nutzen.“

„Und zweitens?“

„Zweitens werden bei Banken und allen Arten von Investmentgesellschaften, völlig sinnlose Geschäfte gemacht, deren einziger Zweck es eben ist Geld zu“, er zögert und sagt schließlich, „… generieren – ich weigere mich, das als ‚verdienen‘ zu bezeichnen.“

„Was ist denn ein sinnloses Geschäft, wenn damit doch Geld verdient wird?“, frage ich verständnislos.

„Na, zum Beispiel der ganze Hochfrequenzhandel mit Wertpapieren“, sagt er.

Er sieht, dass ich mit dem Begriff nichts anfangen kann und sagt: „Du hast doch auch ein paar Aktien, oder?“

Ich nicke.

„Wie lange hast du die denn schon?“

Ich überlege. „Die Telekomaktien habe ich ziemlich spät gekauft – was habe ich mich gefreut, noch welche zu kriegen. Wär besser gewesen“, sage ich mürrisch, „ich hätte keine abbekommen. Das muss so 2000 gewesen sein, kurz vor dem Platzen der Blase. Damals habe ich auch noch ein paar andere gekauft, ich weiß schon gar nicht mehr was. Ich hoffe, dass es uns später immerhin ein bisschen was zur Rente zubuttert.“

„Also hältst du deine Aktion schon rund zwanzig Jahre.“

Ich nicke.

„Kannst du dir vorstellen, dass die durchschnittliche Haltedauer einer Aktie heute weniger als eine Sekunde beträgt?“

„Quatsch“, sage ich. „In Aktien investiert man doch, um an einem Unternehmen und seinem Erfolg beteiligt zu sein. Eine Sekunde hätte doch da überhaupt keinen Sinn.“

„Tatsächlich sind es sogar nur Bruchteile von Sekunden“, sagt mein Nachbar. „Und du hast recht, mit Investieren hat es nicht das Geringste zu tun. Aber durch geschicktes Taktieren mit extrem ausgefeilten Programmen und sehr, sehr schnellen Computern lassen sich jeweils winzige Handelsgewinne realisieren. Durch die Masse der Transaktionen – es sind täglich Milliarden – kommt aber trotzdem etwas zusammen. Aber als Geschäft, so wie wir es verstehen würden oder gar als Investition, ist es völlig sinnlos. Da verkaufen sich nur Computer gegenseitig ununterbrochen Wertpapiere.“

„Computer und Wertpapiere“, überlege ich laut, „woran erinnert mich das?“

„Keine Ahnung“, antwortet mein Nachbar, „erzähl’s mir, wenn es dir wieder eingefallen ist. Ich muss jetzt mal weitermachen.“ Und er beginnt zu harken.