DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Guter Rat - Geldprobleme 2

Es ist mir wieder eingefallen“, sage ich zu meinem Nachbarn.

„Toll“, sagt er. Und nach einer längeren Pause: „…. und was?“

„Na, was ich neulich vergessen hatte, von Wertpapieren und Computern.“

„Ach ja“, sagt er und scheint nur mäßig interessiert zu sein.

Ich fahre also schnell fort: „Pass auf. Seit ein paar Wochen bekomme ich per Mail immer Aktientipps zugeschickt. Jede Woche wird über eine Aktie berichtet, die demnächst steigen oder fallen soll – man kann ja scheinbar auch auf sinkende Kurse setzen. Und stell dir vor, was die schreiben stimmt jedesmal! Wäre ich da gleich eingestiegen, hätte ich schon richtig Geld verdient.“

Mein Nachbar runzelt die Stirn. „Das musst du mir jetzt aber doch genauer erklären“, sagt er.

„Na, die wollen ihren Börsenbrief oder wie das heißt verkaufen, in dem sie jede Woche Geldanlagen empfehlen. Sie hätten da eine ganz neue Software, irgendwas mit künstlicher Intelligenz, die macht total sichere Vorhersagen. Und um das zu beweisen, haben sie mir jede Woche einen Tipp geschickt. Erst habe ich mich gar nicht drum gekümmert und die Mails gelöscht, aber neulich habe ich es mir aus Langeweile doch mal angeschaut. Und die Aktie hatte in ein paar Tagen 10 Prozent zugelegt! Stell dir das vor!“. Ich bin ganz aufgeregt.

Mein Nachbar sieht immer noch skeptisch aus.

„Und dann habe ich die alten Mails aus dem Papierkorb geholt und alles was sie besprochen hatten, hatte sich wie vorhergesagt entwickelt. Manchmal mehr, manchmal weniger, aber die Richtung stimmte.“ Ich schaue ihn an. „Das zeigt doch eindeutig, dass das wahr ist, was sie über ihre Software sagen. Und deswegen steige ich da jetzt ein. Und du“, sage ich betont großzügig, „kannst mitmachen. Vielleicht klären sich ja deine Geldprobleme, wenn du was an der Börse verdienst.“

„Das ist wirklich nett von dir“, sagt er. „Aber fragst du dich nicht, warum die nicht einfach selbst ihr tolles Programm nutzen um Geld zu verdienen?“

Ich überlege. „Na, wahrscheinlich machen sie das auch, aber zusätzlich verkaufen sie eben auch noch ihre Aktientipps. Der ist nicht billig, dieser Börsenbrief.“

„Glaube ich nicht“, sagt mein Nachbar. „Ich glaube, dass es einfach Betrüger sind. Sehr wahrscheinlich haben sie überhaupt keine tolle Zaubersoftware.“

Ich schüttle den Kopf. „Du und dein ewiges Misstrauen. Ich sage es dir doch, jeder einzelne Tipp war goldrichtig. Sechs Wochen lang.“

Mein Nachbar grinst.

„Spuck’s aus“, sage ich. „Was ist so lustig?“

„Erstmal ne Frage“, sagt er. „Diesen Brief, den gibt’s wohl nicht online, oder?“

„Nein“, sage ich. „Das steht da auch extra drin, die Tipps sind nur für eine kleine Anzahl ausgewählter Kunden. Auch, um den Einfluss auf die Kurse in Grenzen zu halten. Finde ich gut.“

„Und du bist einer dieser handverlesenen Kunden.“ Er nickt anerkennend.

„Scheint so“, sage ich. „Allerdings habe ich keine Ahnung wie die auf mich gekommen sind. Wahrscheinlich ein Irrtum. Aber mir soll’s recht sein.“

„Also kriegen diesen Brief, mit dem sie doch Geld verdienen wollen, jetzt auch nur noch einige wenige“, mein Nachbar schüttelt den Kopf. „Es wird immer sonderbarer.“

„Na ja“, sage ich, „das ist wahrscheinlich nur Masche. Wahrscheinlich sind es doch mehr. Aber was soll’s? Es bleibt die Tatsache, dass sie absolut zutreffende Voraussagen gemacht haben. Das reicht mir.“ Ich nicke nachdrücklich.

„Ich verrat dir was“, sagt er, „ich könnte das auch … und“, er kommt meinem ungläubigen Einwand zuvor, „du auch“.

„Quatsch!“, sage ich.

„Doch, pass auf. Es ist gar nicht schwer: Du suchst dir ein paar Aktien, bei denen immer viel Bewegung ist. Ich vermute, dass das alles eher kleine und unbekannte Unternehmen waren …?“

Ich nicke. „Ziemlich kleine.“

„Hab ich mir gedacht. Da geht der Preis eher rauf und runter und für zehn Prozent Anstieg reichen dann schon ein paar Cent.“

„Ist doch gut“, sage ich, „da muss man nicht so viel investieren“.

„Wir sind noch nicht fertig“, sagt mein Nachbar, „es geht erst los. Du suchst dir also eine Aktie aus und verschickst deinen Aktienbrief. An … “, er überlegt, „zwei Millionen Leute.“

„Was“, sage ich verblüfft, „zwei Millionen? Wo soll man denn so viele Mailadressen herbekommen?“

„Kein Problem“, sagt mein Nachbar, „auch hundert Millionen. Wird alles im Netz gehandelt und kostet kaum was. Je nach Qualität, aber maximal einige Cent pro Adresse.“

„Wahnsinn“, sage ich, „alleine, bis man die alle geprüft hat.“

„Nix wird geprüft. Die Mails gehen einfach raus. Der Versand kostet schließlich überhaupt nichts.“

„Okay“, sage ich und verstehe überhaupt nicht, worauf er hinauswill. „Und weiter?“

„Naja“, sagt er und grinst wieder, „eine Million Leute kriegen die Info, dass die Aktie steigt, die andere Million die, dass sie fällt.“ Er sieht mich an, ich zucke die Schultern.

„Okay“, fährt er fort, „nach einer Woche schickst du die nächste Mail. Jetzt kriegt nur noch die eine Million Leute eine Mail, die die korrekte Kursentwicklung bekommen hatte, wieder halbe-halbe. Und so weiter. In der dritten Woche sind es dann noch 500.000, in der vierten 250.000, in der fünften 125.000 und in der sechsten rund 60.000 Leute. Es kriegen immer nur noch die eine Mail, denen in der Vorwoche eine richtige Kursentwicklung geschickt wurde. Am Schluss hast du einige zehntausend Leute, die überzeugt sind, dass du genau weißt wohin die Aktien laufen. Wenn davon nur ein paar Prozent mitmachen, hast du dein Ziel wahrscheinlich erreicht.“

„Ich weiß nicht“, sage ich zweifelnd, „der ganze Aufwand, um einen Aktienbrief zu verkaufen? Und dann merkt man doch ziemlich schnell, dass er nichts taugt und lässt es wieder.“ Ich schüttle den Kopf. „Klingt für mich nicht plausibel.“

„Wenn von den letzten 30.000 zwei Prozent mitmachen, dann sind das sechshundert Leute. Von jedem …. sagen wir mal …. hundert Euro …?“, er schaut mich fragend an.

„Mehr“, sage ich.

„Sagen wir mal hundert“, sagt er, „das gibt dann 60.000 Euro. Nicht schlecht für ein paar Mails, oder?“

Ich nicke widerstrebend.

„Aber wahrscheinlich geht es gar nicht in erster Linie um die Einnahmen aus diesem Brief.“

„Worum denn sonst?“, frage ich verwirrt.

„Eher um Kursmanipulation“, sagt er. „Das geht so: Du deckst dich billig mit irgendeiner wertlosen Aktie ein – dann empfiehlst du sie. Deine Abonnenten kaufen sie, treiben damit den Preis hoch und du verkaufst. Mit ordentlichem Gewinn. Damit kannst du richtig Kasse machen.“

Ich überlege. „Aber dann würde die Vorhersage doch auch wirklich stimmen“, sage ich, „der Kurs steigt“.

„Ja“, lacht mein Nachbar, „das ist das Witzige daran. Allerdings das wird den meisten Käufern nichts nutzen, denn der einzige Grund für den Anstieg war ihre eigene Nachfrage. Der Kurs wird wieder fallen, denn niemand nimmt ihnen die überteuerten Papiere ab. Den Gewinn aus dem Kursanstieg haben die Verfasser des Börsenbriefs eingesackt.“

„Eigentlich ganz schön clever“, sage ich.

„Ja“, nickt er. „Das ist eines der weiteren Mysterien des Geldes: Es bringt Menschen auf immer neue Ideen, es anderen aus der Tasche zu ziehen.“