Boomdorf
Mein Nachbar kommt mit einem Kuchenteller in der Hand auf mich zu, stellt ihn mir hin und sagt: „Gratuliere!“
Ich schau mir den Kuchen an, Rhabarberbaiser, großartig, ziehe den Teller ein Stück näher zu mir und sage: „Vielen Dank. Hmm, der ist ja noch warm.“ Ich überlege einen Moment und füge dann an: „Du weißt aber schon, dass mein Geburtstag noch einige Monate hin ist?“
„Natürlich. Ich wollte dir ja auch zum Welttischtennistag gratulieren.“
„Der war vor einer Woche“, sage ich und ziehe den Kuchen noch weiter rüber.
„Echt?“, sagt er. „Aber ich habe das doch vorhin erst in dem Podcast gehört … na egal, du wirst es schon wissen.“
„Aber du kannst mir trotzdem gratulieren“, sage ich, „wir sind jetzt nämlich reich“.
„Das ist ja toll“, sagt er. „Gratuliere! Geerbt oder im Lotto gewonnen?“
„Nichts davon“, sage ich.
„Und was dann?“, fragt er verwirrt.
„Hast du mal gesehen, wie die Grundstückspreise steigen?“
„Doch“, sagt er düster. „Furchtbar.“
„Furchtbar?“, sage ich verblüfft, ich kann’s nicht glauben. „Unser Grundstück ist jetzt ungefähr das Zwanzigfache wert.“
„Genau. Furchtbar.“
„Also“, sage ich, „ich weiß ja, dass du nichts von Geld verstehst, sagst du ja selber. Aber dass es so schlimm ist …?“
Er sieht mich an. „Du findest es also gut, dass hier die Preise so durch die Decke gehen?“
„Na klar!“
„Das heißt …“, er überlegt einen Moment, „ihr verkauft demnächst euer Haus und zieht weg?“.
Vielleicht irre ich mich, aber er sieht tatsächlich etwas besorgt aus.
„Bist du verrückt?“, sage ich. „Wo sollen wir denn hin? Nein, wir werden nie hier wegziehen, mach dir keine Sorgen.“
„Dann verstehe ich das nicht“, sagt er. „Dann ändert sich doch gar nichts für dich.“
„Nicht direkt“, gebe ich zu. „Aber es ist natürlich ein gutes Gefühl. Wir sind jetzt immerhin theoretisch reich.“
„Ich seh schon“, sagt er, „Reichtum bleibt ein Thema. Bei Gelegenheit müssen wir wohl mal unsere Milliardärsdiskussion fortführen.“ Er grinst.
„Gerne“, sage ich. „Aber sag mal …, wieso findest du es denn so schlimm? Ist mir da irgendwas entgangen? Müssen wir Steuern auf den Wertanstieg zahlen oder so?“
Er sieht verwirrt aus. „Ist das nicht klar? Es hat doch nur Nachteile.“
„Was kann es für einen Nachteil haben“, frage ich, „wenn mein Grundstück plötzlich ein paar hundertausend Euro wert ist?“.
„Es ist ja nicht nur deins, das gilt ja für alle anderen Grundstücke im Ort und in der Gegend genauso.“
„Sicher“, sage ich. „Deshalb freue ich mich ja auch für dich, alter Griesgram.“ Und füge noch schnell an: “Und für alle anderen natürlich auch.“
„Danke. Aber wie gesagt, es ist kein Grund zur Freude.“
„Dann erklär mir doch mal warum“, sage ich kopfschüttelnd.
Er überlegt kurz, dann sagt er: „Mehrere Gründe … aber zuerst mal eine Frage: Könntet ihr es euch jetzt noch leisten herzuziehen?“
Ich überlege und sage dann: „Vielleicht. Wenn wir uns sehr einschränken. Die Zinsen sind ja niedrig, die Kinder sind aus dem Haus und wir verdienen beide ordentlich. Aber so ein großer Garten wäre wohl nicht drin.“
Er nickt. „Also wäre es euch damals zu vergleichbaren Preisen nicht möglich gewesen?“
„Niemals“, sage ich. „Damals war das Grundstück vergleichsweise ja spottbillig und wir haben trotzdem Ewigkeiten gebraucht den Kredit zurückzuzahlen. Das Haus kostet ja auch noch mal.“
„Okay“, sagt er, „das ist mein erster Punkt: Junge Familien können es sich nicht mehr leisten herzuziehen. Das ist es aber, was ein Dorf braucht: Junge Familien.“
„Stattdessen bauen sich Juppies überdimensionierte Wochenendhäuser“, sage ich bitter.
„Könnte passieren“, sagt er.
„Ist es schon“, sage ich und deute mit dem Kopf in die fragliche Richtung. „Der Neubau da oben … Die kommen nur alle paar Wochen mit ihrem Porsche für ein paar Tage.“
„Ist mir noch gar nicht aufgefallen“, sagt er nachdenklich. „Aber das passt gut zu meinem nächsten Punkt: Es kommen andere Leute. Mit mehr Geld. Bisher sind wir ein ziemlich bodenständiges Dorf, die allermeisten verdienen ganz normal. Aber mit einem normalen Gehalt kannst du eben kein Grundstück für ´ne viertel Million kaufen.“
„Mehr“, sage ich. „Soll ich dir mal ein paar Sachen zeigen?“
Er schüttelt den Kopf. „Lass gut sein. Kommt ja immer auf die Größe an.“
Ich grinse. Er sieht mich ratlos an, dann versteht er und muss widerwillig auch lächeln.
„Aber das ist dann ja eine richtige Verdrängung“, sage ich entrüstet. „Wie diese … Geni …, Gentri … na, was man immer aus den Städten hört, wenn die Juppies die hippen Viertel übernehmen.“
„Gentrifizierung“, sagt er. „Ja, auf lange Sicht kann das passieren. In den Städten müssen die Leute ja irgendwann raus, weil die Mieten so steigen. Bei uns droht das erst, wenn zu viele der Verlockung dicker Geldbündel nicht widerstehen können. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass einige da in Versuchung geraten.“ Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ich muss schlucken, weil es genau das ist, was mich gerade beschäftigt. Deshalb kommt mir diese Ablenkung gerade recht: „Wundert mich aber, dass es dich stört, wenn ‚andere Leute‘ kommen – du bist doch sonst immer so für Diversität.“
„Stimmt“, sagt er, „bin ich. Eine Gesellschaft hat meiner Meinung nach nur Vorteile dadurch, wenn sie offen ist für neue Ideen, neue Einflüsse. Menschen mit unterschiedlichem kulturellem oder sozialem Hintergrund gehen nun mal verschieden an Sachen heran. Sie bringen frischen Wind.“
„Na ja“, entgegne ich zweifelnd, „ich bin ja lieber unter meinesgleichen und mache alles so, wie ich es schon immer gemacht habe. Gefällt mir besser.“
Mein Nachbar lächelt verständnisvoll. „Weiß ich doch“, sagt er. „Und ich hab auch gar nichts dagegen, dass Leute mit viel Geld kommen. In der richtigen Mischung ist von allem ein bisschen. Ich fände es nur blöd, wenn kein anderer mehr kommen kann.“ Er betont das ‚kann‘. „Dann war’s das nämlich mit der Mischung.“
„Verstehe“, sage ich. „Und was noch? Dich stört doch sicher noch mehr.“
„Ja. Es wird anders gebaut werden.“
„Wieso?“
„Na, jetzt sind wir ein ungewöhnlich grünes Dorf: große Gärten, meist mit vielen Bäumen und dazwischen immer wieder kaum genutzte oder unbebaute Grundstücke, auf denen mittlerweile richtige Wälder entstanden sind. Und die meisten Häuser, vor allem die alten, sind nicht besonders groß. Vor allem sind sie nicht hoch.“
Ich nicke.
„Aber das wird sich ändern.“
„Tut es ja schon“, werfe ich ein. „Nimm nur mal die Riesenbude, die sie da hinten hinsetzen“, ich deute wieder mit dem Kopf, diesmal in die entgegengesetzte Richtung.
„Die Geschmacksverirrung mit den lächerlichen Säulen?“, fragt er.
Ich nicke.
„Stimmt“, sagt er, „ein besonders scheußliches Beispiel. Aber …“, er überlegt einen Moment, „die Grundstücke werden auch viel dichter bebaut werden. Keiner zahlt ein paar hundert Euro für den Quadratmeter um dann daraus einen Garten zu machen. Geld verdienst du nur mit Wohnfläche.“
„Das stimmt“, sage ich. „Aber ich glaube, die Leute wollen auch gar keine Gärten mehr. Macht ja Arbeit.“
Er nickt mit zusammengekniffenen Lippen. „Und deshalb wird’s hier bald aussehen wie in jeder x-beliebigen Vorstadtsiedlung: Eine einfallslose, schneeweiße Kiste neben der anderen. Großartig!“
„Na komm“, beschwichtige ich ihn, „es muss ja nicht so kommen und es wird auch ganz sicher nicht schnell gehen“.
„Jedes Grundstück das jetzt so teuer verkauft wird, wird so bebaut werden“, entgegnet er. „Und je mehr die Leute sehen, welche Preise gezahlt werden, desto eher kommen sie selber auf die Idee zu verkaufen. Außerdem haben wir ziemlich viele alte Leute, da ist es irgendwann sehr verlockend in eine Wohnung zu ziehen … Und wenn einem dann ein Haufen Geld für das Grundstück geboten wird …“.
Ich sehe seine Sorge und sage mir, dass jetzt wohl nicht der richtige Moment ist, ihm von meinen eigenen Überlegungen zu erzählen.
Deshalb versuche ich das Thema zu beenden: „Zugegeben, so gesehen hat die Preisexplosion vielleicht auch gewisse Nachteile … Aber jeder kann halt mit seinem Grundstück machen was er will und wenn es sich eben so ergibt, dass man sowieso … vielleicht … wegziehen muss … dann versucht man natürlich das Beste draus zu machen.“
Er sieht mich ziemlich unwirsch an. „Ja, ja, ich weiß schon: Eigentum, Freiheit und so … wichtige Sachen.“ Er reißt sich zusammen: „Na, wie auch immer, lass dir den Kuchen schmecken. Ich werde mir auch ein Stück genehmigen. Das hebt die Laune.“
„Mach das“, sage ich und füge an: „Du, da habe ich neulich was Schönes gehört.“
Er dreht sich um: „Was denn?“
„Bei großen Sorgen“, sage ich und hebe lächelnd den Zeigefinger, „helfen kleine Freuden.“
Er lässt es sich einen Moment durch den Kopf gehen, dann sagt er: „Das ist gut. Das merke ich mir.“ Er lächelt. „Eine wunderbare Entschuldigung, um sich ein Stück Kuchen zu genehmigen.“
Und ich kann von hinten sehen, dass sich seine Laune gebessert hat. Und mit dieser guten Tat, denke ich wohlgemut, habe ich mir jetzt auch ein Stück verdient.