DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Unbeteiligt - Umfragesaga 1

Und“, fragt mich mein Nachbar, „hast du schon deinen Fragebogen abgegeben?“

„Ich habe keinen Schimmer, wovon du redest“, sage ich ratlos.

„Na, der Fragebogen der Gemeinde. Der steckte doch vor …“, er überlegt, „ungefähr vier Wochen im Briefkasten. Es wird langsam Zeit ihn abzugeben. Bis Ende des Monats wollen sie ihn zurückhaben.“

„Ach diesen Quatsch meinst du“, ich schüttle den Kopf. „Den hab ich gleich zerrissen. Willst du da etwa mitmachen? Gerade du alter Datenschutzfanatiker?“

„Du hast ihn weggeschmissen?“, mein Nachbar schaut mich ungläubig an.

„Klar“, sage ich. „Da kommt doch sowieso nix bei raus.“

„Da fragt die Gemeindeverwaltung die Bürger mal ganz direkt was sie wollen, fordert sie ausdrücklich auf, zu benennen was ihnen wichtig ist, was geändert werden sollte – und dir geht das am Arsch vorbei?,“, er schüttelt den Kopf. „Weißt du eigentlich, wie ungewöhnlich das ist? Ich hab jedenfalls noch nie von so einer Aktion gehört.“

„Das zeigt doch einmal mehr das es Quatsch ist“, sage ich bestimmt. „Würde Bürgerbeteiligung so funktionieren, würde es natürlich dauernd so gemacht.“

„Ach so“, sagt mein Nachbar. „Na, was meinst du denn? Warum macht die Gemeinde diese Aktion?“

Er sagt es etwas gedehnt, irgendwie spöttisch. Ich weiß, dass er sich ärgert. Also versuche ich ihm das ganz ruhig und vernünftig zu erklären: „Ich habe keine Ahnung, warum sie das machen. Aber ganz sicher nicht, um dann meine Vorschläge umzusetzen. Schließlich habe ich vor ein paar Jahren schon mal angerufen und gesagt, dass die Straße gemacht werden muss. Und, ist was passiert? Nein.“

Ich überlege. „Ich könnte mir vorstellen“, sage ich dann, „dass der Bürgermeister irgendein Bauprojekt durchziehen will und dann stellt er es so hin, als wäre das irgendwie bei der Bürgerbefragung rausgekommen.“ ‚Ja‘, denke ich, ‘das ist ein sehr überzeugender Grund‘.

Mein Nachbar lächelt traurig. „Ist nicht dein Ernst“, sagt er.

„Doch“, sage ich. „Mein völliger Ernst. Ich meine, wann hätten denn die Politiker jemals gefragt was wir wollen? Wenn Wahl ist überschlagen sie sich, wie wichtig ihnen der Kontakt zur Bevölkerung ist, aber nach der Wahl ist alles vergessen. Hör mir doch auf“, sage ich. „Ist doch immer dasselbe.“

Mein Nachbar wiegt nachdenklich den Kopf.

‚Hah!‘, denke ich, ‚jetzt hab ich ihn. Auf Politiker ist er meist auch nicht gut zu sprechen‘.

„Da gebe ich dir natürlich ein Stück weit recht“, sagt er schließlich. „Ich würde mir von der Politik auch eine viel offensivere Bürgerbeteiligung wünschen, vor allem auf Bundesebene …“, er hält inne. „Aber wir sind hier auf der Gemeindeebene. Die Politiker hier und die Leute aus der Gemeindeverwaltung sind keine karrieregeilen Selbstdarsteller mit Geltungszwang. Das sind Leute von hier. Nachbarn. Die wollen hier wirklich was tun.“

„Mag schon sein“, sage ich. „Aber sie wollen vermutlich tun was sie wollen – nicht was ich will.“

„Natürlich tun sie nicht was du willst,“ mein Nachbar sieht mittlerweile richtig verzweifelt aus, „das wäre ja noch schöner“.

„Wie bitte?“, jetzt bin ich entrüstet.

„Na, schließlich bist du erstmal nur einer. Warum sollte das von Belang sein, was ein Einzelner möchte?“

„Weil das was ich will, grundsätzlich vernünftig ist?“, frage ich trotzig.

Er verdreht die Augen und atmet einmal tief ein. „Hör mal“, sagt er schließlich, „lass uns mal wieder runterkommen und das ganz in Ruhe bereden. Du hast dich da in was verrannt.“

‚Hab ich nicht‘, denke ich, sage aber: „Mir recht“.

„Also nochmal von vorne“, sagt er. „Die Gemeinde fragt alle Bürger, was sie sich für die nächsten Jahre so wünschen. Das ist doch vorbildlich. So wünscht man sich doch die Politik, oder?“

„Grundsätzlich schon“, gebe ich zu. „Aber wieso auf einmal? Machen sie doch sonst auch nicht. Ich glaube, da steckt irgendwas dahinter.“

„Würdest du gelegentlich mit in die Gemeindeversammlungen kommen, dann wüsstest du“, sagt er geduldig, „dass die Gemeindevertreter geradezu darum betteln, dass man sich einbringen möge“.

„Ach so?“

„Ja“, sagt er bestimmt. „Und so kam es vor ein paar Monaten auch zu dieser Fragebogen-Aktion: Es ging ganz allgemein um die Weiterentwicklung der Gemeinde und jemand aus dem Publikum schlug vor, dazu doch mal die Bürger zu befragen. Zum Beispiel mit so einem Fragebogen.“

„Aha“, sage ich triumphierend, „das war bestimmt ein Strohmann des Bürgermeisters“.

„Alter Freund“, sagt mein Nachbar kopfschüttelnd, „du musst wirklich langsam aufhören, dir dauernd diesen Verschwörungsquatsch anzusehen. Du witterst ja überall nur noch dunkle Machenschaften.“

„Kann doch sein“, sage ich. „Wenn ich irgendwas durchziehen wollte, würde ich es so machen.“

„Dir ist aber schon klar“, sagt er, „dass zwar alles sein kann – es aber kein bisschen wahrer oder auch nur wahrscheinlicher dadurch wird, dass du es dir ausdenkst? Ausdenken kann man sich alles. Aber das Wahrscheinlichste ist nun mal, dass da einfach ein engagierter Bürger eine Idee hatte und die dann aufgegriffen wurde. Was doch gut ist.“

„Wer war denn das?“ frage ich misstrauisch. „Du warst doch scheinbar dabei.“

Mein Nachbar lächelt leise.

„Nein“, sage ich.

Er grinst und nickt schließlich.

„Na gut“, sage ich, „dass du dich nicht an irgendwelchen finsteren Bauprojekten beteiligen würdest weiß ich. Dabei könnten ja ein paar Käfer ihren Lebensraum verlieren.“ Ich überlege. „Okay“, sage ich, „und dann hat man wahrscheinlich irgendeinen schmierigen Werbefuzzi diesen manipulativen Fragebogen entwerfen lassen, oder? Von der Behörde stammt der jedenfalls nicht, so unamtlich wie der daherkommt.“

„Dir kann man’s aber auch nicht recht machen, was? Dauernd beklagst du dich, dass die Schreiben vom Amt nicht zu verstehen sind, kommt aber mal was Verständliches, ist es auch nicht richtig.“ Er schüttelt den Kopf. „Aber … du hast schon recht. Den Fragebogen hat nicht die Behörde verfasst …“, er zögert. „Mir gefällt er eigentlich ganz gut“, sagt er schließlich.

Ich sehe ihn misstrauisch an. Er studiert aufmerksam den Zaunpfosten.

„Is nicht wahr“, sage ich.

Er lächelt breit und nickt. „Doch“, sagt er. „Als die Idee mit der Umfrage akzeptiert wurde, habe ich angeboten, dass ich ja mal was entwerfen kann. Ich dachte, dann hat die Behörde schon mal was in der Hand und kann darauf aufbauen. Von mir aus sollte es eigentlich nur eine erste Arbeitsgrundlage sein – aber sie haben es dann praktisch vollständig übernommen. Alle Ortsvorsteher waren dafür; ist ein ganz schönes Gefühl muss ich sagen.“ Er nickt bedächtig.

„Aha“, sage ich. „Online wär aber natürlich einfacher gewesen – und wahrscheinlich auch billiger.“

„Wurde überlegt“, sagt er, „aber der Punkt war, dass bei uns ziemlich viele Ältere wohnen, die gar kein Internet haben. Es war aber allen wichtig, dass sich wirklich alle Einwohner angesprochen fühlen – deshalb der Fragebogen im Briefkasten.“

„Ich muss zugeben, es hört sich so an, als wollte man tatsächlich unsere Meinung hören“, sage ich nachdenklich. Dann fällt mir etwas ein: „Aber was nachher mit den Ergebnissen wird, das wissen wir natürlich nicht! Da können sie uns ja sonstwas erzählen“, trumpfe ich auf.

„Könnten sie vielleicht“, sagt er, „aber warum sollten sie? Im Übrigen wurde noch gar nicht überlegt, wie die Ergebnisse präsentiert werden – erstmal müssen die Fragebögen ja zurück und alle Daten übernommen werden. Dann lassen sich daraus Diagramme machen, wo man genau sieht, was gewünscht wird und was nicht.“

„Ja, ja“, sage ich, „traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“.

Mein Nachbar schaut mich ein wenig traurig an. „Du bist heute aber wirklich finster drauf“, sagt er. Es klingt mitfühlend. Er überlegt. „Aber ich kann dich auch hier beruhigen“, sagt er schließlich.

Ich kneife die Augen zusammen und sehe ihn skeptisch an.

Er hat wieder dieses leichte Lächeln im Gesicht.

„Du machst auch die Auswertung?“, sage ich. „Ich fasse es nicht.“

„Na ja“, sagt er leichthin, „wenn du hunderte Fragebögen – oder hoffentlich über tausend – zu Excel übertragen willst, dann ist das eine Heidenarbeit. Also habe ich der zuständigen Bearbeiterin angeboten, ihr ein kleines Programm zu schreiben, das dafür eine Eingabemaske generiert. Es ist immer noch viel Arbeit, aber so lässt sie sich zumindest systematisch erledigen.“

Ich schüttle ungläubig den Kopf.

„Dadurch konnte ich dann auch gleich dafür sorgen, dass es ordentlich aufgebaut ist, vor allem, dass die Adressdaten separat von der eigentlichen Umfrage gespeichert werden. Man könnte die Umfragedaten also gegebenenfalls problemlos veröffentlichen.“

Er grinst mich fröhlich an, ist ganz in seinem Element. „Und da ich nun schon mal angefangen habe“, fährt er fort, „werde ich auch noch die Diagramme und die Abfragen entwerfen. Du brauchst dir also keine Sorgen machen – es wird alles völlig transparent ablaufen.“ Er lächelt zufrieden. „Auf dem Amt waren sie total froh, haben sich tausendmal bedankt – super nett“, sagt er.

„Kann ich mir vorstellen“, sage ich. „Und das war’s dann wahrscheinlich auch. Ein warmer Händedruck und vielen Dank. Dabei müssten sie das sonst irgendwo teuer einkaufen.“ Ich schüttle den Kopf. „Für jeden Scheiß müssen wir auf dem Amt eine Gebühr zahlen – aber wenn du mal was für die tust, gibt‘s: Nix.“ Mein Nachbar tut mir leid, er ist einfach zu gutmütig.

Er sieht mich ungläubig an. „Jetzt geht’s aber langsam wirklich mit dir durch“, sagt er. „Ich will doch gar kein Geld. Sie haben sogar versucht irgendwas zu drehen, aber ich kann doch für ein bisschen zusammengehauenes VBA kein Geld nehmen.“ Er zögert. „ Außerdem ist es doch schön helfen zu können. Ehrenamt und so.“ Er überlegt und nickt schließlich. „Sonst kann ich mit dem Begriff Ehre eigentlich nicht viel anfangen, aber hier passt es: Es ehrt mich doch, wenn ich meine Talente zum Nutzen aller einbringen kann.“

„Also hast du eigentlich überhaupt nichts davon, oder? Mal abgesehen von der Ehre natürlich.“ Ich sage es bewusst spöttisch.

„Im Gegenteil“, sagt er. „Zum Einen freue ich mich, dass es überhaupt passiert – mit dem Fragebogen konnten sie einfach loslegen. Dann ist es gut, dass das Ganze nicht wieder einschläft, weil man vor zu vielen Fragebögen kapitulieren muss. Und schließlich bin ich zufrieden, wenn die Ergebnisse so präsentiert werden, dass man damit etwas anfangen kann. Außerdem war es eine gute Gelegenheit, mich mal intensiver mit Excel zu beschäftigen. Hatte ich schon lange vor. Vor allem aber bringen wir in Erfahrung, was sich die Menschen hier so wünschen: Soll mehr gebaut werden oder weniger? Soll man versuchen Touristen anzulocken oder nicht? Und alle sollen möglichst auch eigene Ideen nennen. Das ist doch total spannend. Was da wohl rauskommt?“ Er zögert und lächelt wieder sein leichtes Lächeln.

„Spuck’s aus“, sage ich.

„Na ja“, druckst er herum, „dadurch, dass ich den Entwurf gemacht habe, konnte ich natürlich auch dafür sorgen, dass zumindest da ein Punkt schon mal drin ist, der mir wichtig ist.“

„Ich glaube ich kann mir denken“, sage ich, „welcher das ist“.

„Das glaube ich auch“, sagt er und grinst.

Wir schweigen beide, ich lasse mir das Gesagte durch den Kopf gehen, auch mein Nachbar sinniert vor sich hin.

„Ich muss zugeben“, sage ich schließlich, „sich ein bisschen einzubringen, scheint gar nicht so ganz verkehrt zu sein“.

„Freut mich“, sagt er. „Dann fang doch gleich damit an dich zu beteiligen, indem du den Bogen ausfüllst – du kannst ihn dir auf der Gemeindeseite runterladen.“ Er überlegt kurz und fügt dann an: „Und schreib rein, dass du unbedingt eine Baumschutzsatzung möchtest.“

Ich schaue ihn zweifelnd an, „möchte ich das wirklich?“.

„Unbedingt“, sagt er.