DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Black Mail

Hast du gesehen, unser neuer Postbote ist ein Neger“, spreche ich meinen Nachbarn an.

„Er ist nur die Urlaubsvertretung“, antwortet der, „aber ja, habe ich gesehen. Und, stört dich das?“

„Nee, keine Sorge, ich bin ja froh, dass sie jemanden gefunden haben. Nee, eigentlich wollte ich dich nur ärgern – du bist ja immer so politisch korrekt. Und Neger darf man ja wohl nicht mehr sagen.“

Er schaut mich komisch an. „Du darfst sagen was du willst, Redefreiheit, du erinnerst dich? Artikel 5 Grundgesetz.“

„Es stört dich also nicht, wenn ich den Briefträger Neger nenne?“, ich bin verblüfft.

„Sagen wir mal so, solange du es zu mir sagst, finde ich es zwar irritierend, aber es tut ja niemandem weh. Wenn du es allerdings ihm gegenüber benutzen würdest, würde ich doch ernsthaft an deiner guten Kinderstube zweifeln.“

„Hmm, Kinderstube ist genau richtig. Das Wort, das ich als Kind für Schwarze gelernt habe, ist Neger; aber plötzlich ist das falsch. Wieso ist etwas heute falsch, was früher richtig war?“ Ich schaue ihn fragend an.

Mein Nachbar überlegt, „Ich bin mit dem Thema nicht besonders vertraut, aber ich verstehe es so, dass die Menschen, die du als Neger bezeichnest, das Wort als Beleidigung empfinden, als unfreundlich.“

„Wieso?“ meine ich zweifelnd.

„Pass auf“, sagt mein Nachbar, „stell dir zum Beispiel vor, jemand wächst irgendwo auf, wo Deutsche immer als Krautfresser bezeichnet würden. Wann immer es um Deutsche geht, spricht man nicht von Deutschen, sondern von Krautfressern. Das wäre also sein Wort für Deutsche. Jetzt kommt er nach Deutschland und sagt das zu dir.“

Ich knurre.

„Genau. Wenn er dich an einem guten Tag erwischt, wirst du ihm geduldig erklären, dass er sich damit nicht beliebt macht. Und er wird sagen „Aber wieso, das ist doch nur das Wort das ich als Kind für euch gelernt habe?“. Und du wirst ihm geduldig erklären, dass er da eben ein ziemlich unglückliches Wort gelernt hat und dass er es natürlich sagen kann – Art. 5 und so – aber dass er dann als extrem unfreundlich und beleidigend eingeschätzt wird. Kann er sich ja überlegen, was ihm lieber ist.“

Ich überlege, „Nee“ sage ich dann, „das ist doch Quatsch, das passt nicht! Der hat doch von vornherein ein ganz falsches Wort gelernt.“

„So, so. Aber du bist ganz sicher“ fragt mein Nachbar, „dass Neger ein ‚richtiges‘ Wort ist? Ich würde sagen, man hat in dieser fernen Vergangenheit, als wir beide noch klein waren, darüber einfach nicht weiter nachgedacht und irgendein Begriff hat sich eingebürgert. Aber richtig“ fügt er an, „richtig ist er wohl kaum.“

„Na gut, das mag sein. Aber was soll ich denn stattdessen sagen? Schwarze? Farbige? Oder gar ‚People of Colour‘? Die Menschen sind doch nicht bunt. Man weiß überhaupt nicht mehr was man noch sagen darf!“

„Meiner Meinung nach wäre es schön, wenn du es gar nicht nötig fändest, auf die Hautfarbe hinzuweisen. Was hat die denn für eine Bedeutung? Du hättest vorhin ja genauso gut sagen können ‚Hast du gesehen, sie haben für unsere Postbotin doch noch eine Urlaubsvertretung gefunden‘.“

„Genau. Und dann hätte ich angefügt: ‚Jetzt kann sie getrost nach Spanien fahren, sich in die Sonne knallen und kommt in drei Wochen wieder braun wie ein Neger zurück‘.“

„Zum Beispiel.“