DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Das Brot des Bäckers

Als ich aus dem Auto steige, sehe ich meinen Nachbarn am Zaun und gehe gleich zu ihm hin. „Stell dir vor, der Bäcker hat das Brot 50 Cent teurer gemacht! Kannst du dir das vorstellen? Dabei war es sowieso schon fast doppelt so teuer wie das aus dem Supermarkt.“ Ich bin immer noch ganz entrüstet.

„Hmm“, meint mein Nachbar, „er hatte die Preise aber auch wirklich lange nicht erhöht; und sein Brot ist gut.“

„Ja, schon“, antworte ich, „aber 50 Cent mehr! Es kostet jetzt über 4 Euro! Ich kaufe das jedenfalls nicht mehr.“

„Und was machst du stattdessen? Selber backen? Oder das Brot aus‘m Supermarkt kaufen?“, grinst er.

„Spinnst du?“, frage ich, „Selber backen? Ich stelle mich doch nicht stundenlang in die Küche um ein Brot zu backen! Und schmecken würde es wahrscheinlich auch nicht.“

„Also holst du dir jetzt was von der Backtheke im Supermarkt? Die haben da ja alle möglichen Brote, sehen eigentlich ganz gut aus.“

„Ja“, sage ich, „habe ich heute gemacht. Ist aber eigentlich Quatsch. Die sehen alle gut aus, auch ganz verschieden, mit Körnern draußen und so, schmecken aber alle gleich. Immer wenn ich da mal schnell eins kaufe denke ich hinterher ‚Sägemehl. Mit Tapetenkleister angerührt.‘ Furchtbar. Die werden bei uns eigentlich nie ganz aufgegessen. Und satt werde ich davon auch nicht.“

„Tja“, meint mein Nachbar mitfühlend, „dann hast du jetzt ja echt ein Problem. Aber sag mal, wie viele Brote braucht ihr denn so im Monat?“

„Pro Woche brauchen wir zwei bis drei – je nachdem, wie oft du dich zum Abendessen einlädst“, grinse ich ihn an. „Im Monat also ungefähr zehn.“

„Zehn Brote pro Monat“, rechnet er, „macht also rund 5 Euro mehr pro Monat. Vielleicht kannst du die ja irgendwo anders einsparen? Hast du nicht neulich erzählt, dass du dir morgens am Bahnhof jetzt immer öfter so einen afrikanischen Kaffee gönnst?“

„Was für einen afrikanischen Kaffee denn?“, frage ich.

„Na einen Kaffee Togo.“

„Witzbold“, sage ich.

„Und was kostet der?“

„Zwei Euro bis Zwei fuffzich. Je nach dem.“

„Wenn du also jeden Monat auf zwei davon verzichtest, hättest du die Brotmehrkosten drin – und könntest weiterhin dein Lieblingsbrot essen. Übrigens könntest du eine ganze Menge sparen, wenn du dir einfach einen Kaffee von zu Hause mitnimmst.“

„Schon klar“, sage ich und drehe mich unwillkürlich um, um zu schauen ob meine Frau zufällig kommt, „aber die Verkäuferin am Kaffeestand ist unheimlich niedlich. Die lächelt einen immer so nett an, da beginnt der Tag gleich ganz anders.“

„Schon klar“, sagt er nun ebenfalls und schaut so über meine Schulter, dass ich mich unwillkürlich wieder umdrehe.

„Idiot“ sage ich.

„Tja“, meint er, „mit so einer süßen Maus kann unser griesgrämiger Bäcker natürlich nicht mithalten. Aber meinst du nicht, dass sein Brot das Geld auch wert ist?“

„Was heißt schon wert?“, frage ich, „es ist halt einfach viel Geld für ein Brot, finde ich.“

„Hmm, dann verdient er sich also ein goldene Nase an uns“, sagt mein Nachbar.

„Wenn ja, sieht man’s jedenfalls nicht“, meine ich zweifelnd. „Er fährt doch seit mindestens zehn Jahren die gleiche alte Schüssel und in dem kleinen Haus wohnen sie zu fünft. Und in Urlaub fährt er glaube ich auch kaum mal.“

„Und dazu bäckt er die ganze Nacht durch, damit um sechs die ersten Brötchen fertig sind. Also nee, ich glaube eigentlich auch nicht, dass er heimlich ein Luxusleben führt.“ Er schüttelt den Kopf. „Na, ich verrat dir mal was: Ich habe ihn neulich gefragt, wie er es eigentlich schafft seine Preise schon so lange stabil zu halten. Er meinte, dass er sie schon längst hätte erhöhen müssen, aber sich nicht traut. Er sagt, mit den Preisen der Fabrikbrote aus dem Supermarkt kann er sowieso nicht mithalten, aber wenn der Preisunterschied zu groß würde, kaufen noch weniger Leute bei ihm.“

„Womit er wohl recht hat“, meine ich.

„Nö, glaube ich nicht. Hab‘ ich ihm auch gesagt. Ich habe ihm geraten die Preise soweit zu erhöhen, dass er damit gut auskommt. Wer jetzt noch bei ihm kauft, der macht das auch weiterhin. Aber er könnte mal eine Kalkulation aushängen, wie viel – oder besser: wie wenig – von einem Brot eigentlich bei ihm bleibt. So wie die Tankstellen das beim Benzin machen. Damit die Leute gar nicht erst auf die Idee kommen, dass er sich die Taschen vollstopfen will.“

Er schaut mich prüfend an „Dir liegt doch auch was daran, dass uns die Bäckerei erhalten bleibt, oder?“.

Ich nicke zustimmend, „Na sicher, zumal wir ja nur noch die eine haben.“

„Na, dann müssen die Preise so sein, dass er davon leben kann, ist doch ganz einfach. Er kann das Kilobrot ja nicht leichter machen und die Qualität soll er auch beibehalten. Und das ist dann eben `ne ganze Menge Arbeit – und die muss bezahlt werden.“ Er stampft mit dem Fuß auf.

„Aber“, und jetzt grinst er, „ich habe auch eine gute Nachricht für dich: Als ich gestern bei ihm war, kamen gerade zwei junge Leute aus seinem Büro, zwei neue Lehrlinge die nächsten Monat anfangen. Und die eine war wirklich ein Sonnenschein, sowas habe ich lange nicht gesehen.“ Er schaut ganz versonnen. „Wenn die demnächst hinter der Theke steht, wird sich deine Frau wundern, warum du plötzlich so oft Brötchen kaufst“.

„Halt bloß die Klappe“, sage ich, und muss mich schon wieder umdrehen.