DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Formgebung

Du musst wirklich mal auf die Demos mitkommen“, sage ich zu meinem Nachbarn. „Das wird dir gefallen. Da sind die unterschiedlichsten Leute, total interessant.“

Er sieht mich nur skeptisch an.

Ich überlege, wie ich ihm das schmackhaft machen kann, was ich ihm erzählen soll … und entscheide mich für die spektakulärste Geschichte: „Neulich habe ich mich zum Beispiel mit welchen unterhalten“, ich schüttle den Kopf, „also ich weiß wirklich nicht, ob da was dran ist oder wo die das herhaben, aber jedenfalls waren die der festen Überzeugung, dass wir von außerirdischen Echsenmenschen regiert werden.“

Mein Nachbar legt den Kopf schief und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen zweifelnd an. „Die Regierenden stehen praktisch ständig vor irgendeiner Kamera“, sagt er. „Wenn das Echsen wären, hätte das doch sicher schon mal jemand gemerkt? Oder sehen diese Echsen aus wie wir? Wieso sind es dann Echsen?“

„Nein, nein“, sage ich. „Das sind Echsen, aber sie sind irgendwie getarnt. Verrückt, oder? Also“, sage ich, „ich glaub das natürlich nicht. Aber die waren da wirklich überzeugt von.“

„Hmm“, sagt er, „das passt immerhin dazu, dass das Pentagon neulich Ufosichtungen bestätigt hat.“

„Das sind Fakenews“, sage ich bestimmt. Da waren sich alle, mit denen ich gesprochen habe einig.

„Ach so?“, fragt mein Nachbar.

„Ja“, sage ich, „das ist doch ganz klar“. Ich freue mich, ihm auch mal was erklären zu können. „Damit will die US-Regierung von ihren Wahlmanipulationen ablenken.“

„Wobei es jetzt natürlich eine andere Regierung ist, als zur Zeit der Wahl“, wirft er ein.

„Schon, aber die haben das doch jetzt alles übernommen. Du glaubst doch nicht, dass das Zufall ist, das jetzt plötzlich Ufos auftauchen.“

Er sieht mich ziemlich vergnügt an. „Nur damit ich’s verstehe“, sagt er: „wir werden von außerirdischen Echsenmenschen regiert, aber wenn uns jetzt die Regierung von Ufos erzählt, dann haben sie sich das ausgedacht, in der Hoffnung, unsere Aufmerksamkeit von irdischen Fragestellungen auf außerirdische zu lenken?“

„Hört sich jetzt vielleicht ein bisschen sonderbar an“, sage ich, „aber … ja, so ungefähr.“

Er lächelt traurig. „Es ist nett von dir“, sagt er schließlich, „dass du versuchst mich aufzumuntern.“

(Wollte ich gar nicht.)

„Eigentlich kann ich der Geschichte mit den Echsen sogar einiges abgewinnen“, sagt er nachdenklich. Er schaut ins Leere, sagt aber nichts mehr.

„Was denn?“, frage ich schließlich.

„Sagt dir der Begriff ‚Terraforming‘ etwas?“

„Klar“, sage ich. „Wenn die Imperialen Sturmtruppen mal wieder irgendeinen unwirtlichen Planeten in Besitz genommen haben, stellen sie Maschinen auf, die ihm ein erdähnliches Klima verpassen.“

„Genau“, sagt er. „Wörtlich übersetzt: In die Form der Erde bringen. Ist in der Science Fiction als Idee nicht selten. Aber natürlich immer von uns aus gedacht: Wir machen einen Planeten für uns passend.“

„Wie sonst?“, sage ich.

„Na ja“, lächelt er. „Wenn wir noch mal auf deine Echsen zurückkommen, in welchen Regionen leben die auf der Erde denn so?“

Ich überlege. „Sind die nicht wechselwarm?“

Er nickt.

„Die haben es also gerne warm. Hmm, ehrlich gesagt, weiß ich nicht so genau, wo Echsen leben – bei uns gibt es ja auch welche …“

„Leider kaum noch“, wirft mein Nachbar ein.

„Ja ja“, sage ich. „Aber irgendwie verbinde ich die doch vor allem mit tropischen Regionen und Wüsten und so.“

Er nickt wieder. „Und wenn wir jetzt für einen Augenblick mal deine Echsenregierungshypothese akzeptieren, …“

„Oookay“, sage ich gedehnt.

„Dann hätten diese Regierungsechsen es ja vielleicht auch gerne etwas wärmer.“ Er sieht mich herausfordernd an.

„Na und?“, sage ich.

„Vielleicht tun sie ja etwas dafür …“

„Jetzt verstehe ich worauf du hinauswillst: Die machen hier Terraforming und du hättest einen Schuldigen für deinen angeblichen Klimawandel.“

„Eher Marsforming – oder wo auch immer sie herkommen. Aber ja, das ist die Idee. Ich verzweifle ja immer daran, dass wir Menschen sehenden Auges unseren Heimatplaneten ruinieren. “ Er schüttelt den Kopf und ich sehe seine Verzweiflung. „Dass Wirtschaftslenker, die im Geschäftsleben weit in die Zukunft hinein planen, dennoch Entscheidungen treffen, die für ihre Kinder und Enkel verheerende Auswirkungen haben werden. Nur damit sie im Moment noch mehr Geld verdienen. Das begreife ich nicht.“

Er hält einen Moment inne.

Und fährt dann fort: „Aber vielleicht ist das Ganze ja einfach ein Echsenprojekt. Land urbar machen. Kolonisierung.“

„Witzige Idee“, sage ich. „Nur mit dem einen kleinen Haken, dass es natürlich keinen Klimawandel gibt. Das gefällt mir auch auf den Demos so gut: Mit Klimawandel kommt dir da keiner. Da sind wir uns alle einig, dass das Quatsch ist.“

„Schön“, sagt er, „dass ihr euch bei aller Verschiedenheit eurer Ideen, da immerhin einig seid.“ Er lächelt wieder sein trauriges kleines Lächeln. „Ich habe es natürlich auch nicht ernst gemeint, es würde nur, wie soll ich sagen … die Ehre der Menschen retten. Jemand anderes wäre schuld.“

Ich nicke. Das verstehe ich.

„Aber das ist ja auch so ungefähr die urmenschlichste Eigenschaft: einen Sündenbock suchen. Alles abstreiten. Bloß nicht selbst die Verantwortung übernehmen.“ Er presst die Lippen zusammen. „Na ja“, sagt er, „unter Menschen funktioniert das … leider … oft sogar. Aber dem Klima ist es egal. Die Physik diskutiert nicht.“

Er hebt die Hand zum Gruß. „Mach’s gut. Und danke für die Aufmunterung.“

„Hätte sogar fast geklappt“, höre ich ihn noch murmeln, dann ist er um die Ecke.