DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Gewinnorientiert

Mein Nachbar und ich stecken schon wieder mal in einer Diskussion über den angeblichen Klimawandel oder, wie er es sagen würde, die Klimakatastrophe. Ich würde ja lieber über Fußball reden … aber naja, will er nicht. Also Klimawandel.

Zum Glück habe ich ein Top-Argument: „Ich verstehe nicht, wieso du so darauf beharrst, dass sich in dieser Frage alle Wissenschaftler einig sind und dass das man deswegen nicht anderer Meinung sein kann? Sonst ist es dir immer total wichtig, genau zu schauen welche finanziellen Interessen hinter etwas stecken. Hier aber nicht. Dabei haben die Wissenschaftler doch auch finanzielle Interessen.“

Mein Nachbar schaut mich rätselhaft an. „So, so. Welche sind denn das, deiner Meinung nach?“

„Na, die verdienen doch ihr Geld mit solchen Gutachten, oder nicht? Und wenn alle in Panik sind und immer genauer Bescheid wissen wollen, braucht es immer neue Gutachten, neue Forschungsprojekte und und und“, sage ich. Das scheint mir doch recht naheliegend zu sein.

Und mein Nachbar scheint das auch einzusehen: „Du meinst also, die verdienen sich am Klimawandel eine goldene Nase?“

„Kann ich mir schon vorstellen“, nicke ich. „Das sind doch immer gleich Millionenbeträge die solche Forschungsaufträge kosten.“

Er nickt. „Da hast du recht. Aber hast du auch eine Idee, wo diese Wissenschaftler so arbeiten?“

Ich zucke die Schultern. „Was weiß ich … An irgendwelchen Forschungsinstituten, denke ich.“

Mein Nachbar bohrt weiter: „Und diese Forschungsinstitute, sind die privat? Machen die Gewinne?“

Da muss ich überlegen: „Hmm, das weiß ich jetzt nicht so genau. Aber es gibt doch jede Menge Forschungsgesellschaften, was weiß ich, Fraunhofer, Max-Planck und wie sie alle heißen, die wollen doch sicher was von ihrer Arbeit haben, das kostet doch einen Haufen Geld, natürlich wird da am Ende ein Gewinn rauskommen.“

Er nickt anerkennend: „Na, du kennst dich ja doch ein bisschen in der Wissenschaftsszene aus! Max-Planck, Fraunhofer, sehr gut! Dann wären da zum Beispiel noch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Helmholtz – und die Leibnitz Gemeinschaft – es gibt auch noch andere.“

„Naja“, sage ich bescheiden, „was man so aufschnappt … die anderen Namen habe ich auch schon mal gehört … glaube ich.“

Er fährt fort: „Und du hast auch ansonsten recht: da fließen jedes Jahr Milliarden rein und sie machen auch tatsächlich Gewinn.“

Ich bin zufrieden: „Sag‘ ich doch!“

Aber er wiegelt gleich wieder ab: „Naja, so ganz richtig liegst du trotzdem nicht. Auch wenn sie Milliardenbudgets haben und zehntausende Mitarbeiter beschäftigen, sind die Forschungsgemeinschaften und ihre Institute doch ganz überwiegend als gemeinnützige Vereine organisiert.“

Ich bin verblüfft: „Aber dann dürfen sie doch gar keinen Gewinn machen!“

Er lächelt etwas verhalten: „Wie man’s nimmt. Der Gewinn liegt im Zuwachs an Wissen. Das was dort in Erfahrung gebracht wird, das ist der Gewinn. Ein Gewinn für die Gesellschaft oder, da Forschungsergebnisse in der Regel nicht geheimgehalten werden, für die Menschheit. Es gibt also einen Erkenntnisgewinn.“

„Oh“, sage ich, ein wenig enttäuscht.

„Sorry“, sagt er. „Es geht eben nicht immer nur um Geld.“

„Aber wer finanziert das denn?“, das interessiert mich nun aber wirklich.

„Es gibt ja Forschungseinrichtungen der Universitäten und außeruniversitäre, also solche wie du sie eben genannt hast. Und alle sind im Grunde staatlich finanziert, durch Bund und Länder. Zu einem Teil werben sie aber auch Drittmittel ein. Das können dann Forschungsaufträge aus der Industrie sein, genauso aber auch von staatlichen Stellen.“ Er schaut mich an.

„Ich finanziere also auch noch mit meinen Steuern, dass die solche Horrormeldungen verbreiten?“, sage ich entrüstet.

Er grinst breit: „Was du alles so mit deinen Steuern finanzierst … Ich bin immer wieder beeindruckt! Aber lass mal zurückkommen zu der Frage, ob die Wissenschaftler von der Klimapanik profitieren.“

„Na gut“, sage ich, „darum ging es ja.“

„Was meinst du“, fragt er, „verdient man gut, so als Wissenschaftler in einem Forschungsinstitut? Gibt’s Gewinnbeteiligung?“

Ich überlege und sage dann: „Sicher werden die gut verdienen, ich meine, Physiker und Mathematiker und so, das sind doch gefragte Leute … wenn man denen nichts bietet, gehen die doch in die Industrie.“

„In der Industrie gibt’s mehr?“, er schaut mich an.

„Sicher“, sage ich achselzuckend. „Hört man zumindest immer.“

Er nickt. „Völlig richtig. Die Industrie ist immer auf der Suche nach guten Leuten und sie kann gut bezahlen.“

Meine Gedanken schweifen ab: „Wenn ich manchmal so spaßeshalber durch den Stellenmarkt blättere, verstehe ich bei den meisten Stellenbeschreibungen überhaupt nicht mehr worum es geht“, sage ich nachdenklich. „Da bin ich immer froh, dass ich mir nix Neues mehr suchen muss. Das war früher irgendwie anders.“

„Geht mir genauso“, nickt er. „Gut, dass wir nur noch ein paar Jahre bis zur Rente haben.“

„Stimmt.“

„Also“, fasst er nochmal zusammen: „Wissenschaftler arbeiten zumeist in Forschungsinstituten, die Institute machen keinen Gewinn und werden vom Staat finanziert, wie werden die Leute dort also bezahlt?“

„Keine Ahnung“, sage ich.

Er schaut mich verzweifelt an: „Na, nach den Tarifverträgen des öffentlichen Diensts natürlich!“

„Nein!“, sage ich verblüfft.

„Aber selbstverständlich, was denkst du denn …? Und wir sind uns sicher einig, dass man davon nicht reich wird. Dabei sind das wirklich kluge Köpfe! Die haben echt anspruchsvolle Ausbildungen hinter sich.“ Er nickt anerkennend. „Und sie müssen sich ständig weiterbilden um in ihrem Fach auf dem aktuellen Wissensstand zu bleiben.“

„Kann ich mir vorstellen …“, sage ich schaudernd. „Will ich aber gar nicht! Furchtbare Vorstellung, ständig irgendwelche wissenschaftlichen Publikationen lesen zu müssen und das meiste wahrscheinlich noch nicht mal auf Deutsch.“

„Ja“, stimmt mir mein Nachbar zu, „ich staune immer, dass es überhaupt Leute gibt, die dazu Lust haben. Aber eins steht mal fest: Niemand geht in die Wissenschaft, weil’s ihm ums Geld geht. Da gibt’s für kluge Köpfe ganz andere Möglichkeiten. Nee, das sind Nerds, die brennen für ihr Fach.“

„Muss dann wohl so sein …“, sage ich kopfschüttelnd. Das ist nicht meine Welt.

„So, und jetzt stell dir mal vor“, sagt er und zeigt mit dem Finger auf mich: „du machst also deinen Job, machst jahrelange Untersuchungen, entwirfst Modelle, bist auf zig Konferenzen zum Thema, debattierst mit Kollegen, studierst Fachaufsätze rauf und runter, prüfst deine Messdaten, machst nochmal neue Messungen, die Kollegen auf der ganzen Welt machen das gleiche und alle kommen zu denselben Schlussfolgerungen, man geht also an die Öffentlichkeit und warnt“, er macht eine kleine Pause, „vor dem Klimawandel.“

Und fährt fort: „Und dann kommen irgendwelche Hanseln – also Menschen wie du und ich – die vom Thema null Ahnung haben, die mit Mühe den Wetterbericht begreifen, die – wie du gesagt hast – nicht mal die Stellenanforderungen für deinen Job verstehen würden und sagen: ‚Alles Quatsch! Kann doch auch ganz anders sein. Das sind doch nur Modelle, also eigentlich nur Meinungen.‘ Na ja, du weißt schon …“

„Klingt irgendwie frustrierend“, sage ich.

„Das ist das eine“, nickt mein Nachbar. „Aber es ist auch so unangemessen. Geradezu arrogant. Wenn irgendwas Interessantes oder Praktisches aus der Wissenschaft kommt, wird das problemlos angenommen. Bilder von den fernsten Galaxien? Super. Neueste Erkenntnisse aus der Genetik? Wunderbar. Mit bildgebenden Verfahren dem Gehirn beim Denken zusehen? Gerne. Wir erwärmen die Erde? Nee, kann gar nicht sein. Messt mal noch mal. Ihr wollt euch doch nur wichtig machen.“ Er verzieht das Gesicht.

„Naja“, sage ich entschuldigend, „schlechte Nachrichten hört man eben nicht sooo gerne.“

„Klar“, sagt er, „verstehe ich. Aber Realitätsverweigerung ist nicht wirklich `ne Lösung, oder?“

„Hmm“, sage ich, „jetzt hast du mich frustriert“. Ich überlege. „Ich glaube“, sage ich, „ich muss jetzt erstmal ein Stündchen Holz hacken. Trinken wir nachher noch ein Bier?“

„Klar“, sagt er lächelnd. „Kommst du rüber?“

„Um neun“, sage ich.