DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Quellenvergleich

Ich stehe mit meinem Nachbarn am Zaun, Gott sei Dank im Schatten. Es ist brüllend heiß.

„Ein kleiner Vorgeschmack dessen, was auf uns zukommt“, sagt er.

Es ist viel zu heiß zum Diskutieren und eigentlich wollte ich mich auch gar nicht mehr auf diese Klimawandeldiskussionen einlassen … aber ich hatte da neulich etwas gehört. Gute Gelegenheit, denke ich, diese Sache ein für allemal zu beenden.

„Ach ja“, sage ich also beiläufig, „diese drohende Erderwärmung von der immer alle reden“.

Er sieht mich verblüfft an. „Natürlich.“

„Und um die aufzuhalten, müssen wir alles so schnell wie möglich auf regenerative Energien umstellen?“

„Ähh, genau“, sagt er, immer noch verblüfft. Und fügt grinsend an: „Manches von dem, was ich so erzähle, bleibt ja scheinbar doch hängen.“

„So“, sage ich, „ich werde dir jetzt mal beweisen, dass das alles Quatsch ist.“

Er schaut mich nachdenklich an, „da bin ich aber gespannt“.

„Jawohl“, sage ich. „Und zwar mit etwas, was du mir selbst vor einiger Zeit erklärt hast.“

„Na dann mal los.“

„Also“, sage ich und sammle meine Gedanken, „das Problem soll doch sein, dass die Erde immer wärmer wird … also nicht nur der Boden, sondern auch die Luft und die Ozeane.“

„Genau.“

„Und wir können das verhindern, indem wir keine fossilen Brennstoffe mehr verfeuern, sondern Energie nur noch aus Sonne und Wind erzeugen.“

Er wiegt leicht den Kopf und sagt schließlich: „Energie wird nie erzeugt, sondern immer nur umgewandelt, aber ich weiß ja was du meinst. Also: Ja.“

„Okay. Die Mär geht also folgendermaßen: Wir können alles so machen wie bisher, vorausgesetzt, wir verwenden als Energiequelle nur noch Strom. Und zwar Strom aus erneuerbaren. Also Autofahren, Fliegen, Kreuzfahrten, Heizen, Stahl produzieren und so weiter. Habe ich das richtig verstanden?“

Er wiegt wie immer den Kopf und sagt dann: „Ist ein bisschen verkürzt. Wir sollten aus verschiedensten Gründen weniger produzieren und zum Beispiel die Zementherstellung ist auch mit Ökostrom ein Problem … aber im Großen und Ganzen kann man das so sagen.“

‚Ha‘, denke ich, ‚jetzt habe ich ihn‘. „Und genau deshalb ist diese Geschichte mit der Erderwärmung Quatsch“, sage ich triumphierend.

Mein Nachbar schaut mich verständnislos an.

„Pass auf“, sage ich, so, wie er das sonst immer zu mir sagt. „Du hast mir doch neulich erklärt, dass die Energie die wir für irgendwas einsetzen, sich letzten Endes immer in Wärme verwandelt. Und diese Wärme geht dann in die Umgebung.“

„Natürlich“, sagt er. „Verbrennungswärme, Reibungswärme, Reaktionswärme, … was auch immer. Energie geht nie verloren, sondern ändert nur ihre Erscheinungsform. Das ist eines der Grundgesetze der Physik. Die … wie soll ich sagen, Qualität der Energie wird immer geringer. Schließlich bleibt nur Umgebungswärme übrig.“

„Genau“, sage ich. „Aber die Energiemenge die wir benötigen, zum Fliegen, Autofahren oder für was auch immer, die ändert sich ja nicht mit der Energieform. Um einen Zweitonnen-SUV anzutreiben, brauche ich immer die gleiche Energiemenge, egal ob die aus Strom oder aus Benzin kommt.“

„Hmm“, sagt er, „ein Elektromotor ist effizienter als ein Ottomotor. Das sagt ja schon der Name, der Ottomotor ist eine Wärmekraftmaschine. Aber abgesehen davon hast du recht.“

Ich lasse mich von seinem Einwurf gar nicht irritieren und fahre fort: „Also wird doch letzten Endes auch die gleiche Menge Energie als Wärme in die Umgebung abgegeben.“

„Selbstverständlich“, sagt mein Nachbar und schaut mich irgendwie ratlos an.

„Ja verstehst du denn nicht? Dann ist es doch völlig egal, ob ich mit Strom fahre oder mit Benzin. Am Schluss kommt die gleiche Wärmemenge raus. Das ist also alles Unsinn. Wir ändern an dieser – angeblichen – Erderwärmung überhaupt nichts, wenn wir alles auf Strom umstellen. Das Ganze ist offensichtlich ein Komplott der Wind- und der Solarmafia!“.

Das mit der Mafia habe ich mir spontan ausgedacht, aber es scheint mir der passende Begriff zu sein. Schließlich geht es, wenn man genau hinschaut, am Ende ja doch immer nur darum, dass jemand Geld machen will.

Allerdings irritiert mich die Art, auf die mein Nachbar mich ansieht. Gar nicht verblüfft, eher liebevoll.

„Ich muss zugeben“, sagt er, „da ist dir eine ausgezeichnete Beweisführung geglückt. Eins baut auf dem anderen auf, keine Lücke in der Argumentation und streng an der Physik ausgerichtet.“

Er nickt bestätigend und ich bin sehr zufrieden mit mir.

„Leider“, fährt er fort, „und ich möchte gleich dazu sagen, das ist ein Fehler, der auch namhaftesten Wissenschaftlern schon passiert ist; leider stimmt deine Grundannahme nicht.“

Ich überlege, was eigentlich meine Grundannahme ist und sage schließlich: „Wieso, was stimmt denn damit nicht? Die Grundannahme ist doch, dass wir Menschen für die Erderwärmung verantwortlich sind, oder?“

„Ja und nein“, antwortet er. „Eigentlich ist deine Grundannahme, dass es die von uns produzierte Wärme ist, die zur Erderwärmung führt.“

„Natürlich“, sage ich. „So heißt es doch immer.“

Er überlegt. Schließlich sagt er: „Ich gebe zu, dass man es vielleicht so verstehen könnte. Aber dann hat man nicht richtig zugehört.“ Er macht eine Pause. „Denn das behauptet nun wirklich niemand.“

„Ich hab’s also wieder mal falsch verstanden, oder was?“, platzt es aus mir heraus. „Ihr dreht euch das auch immer so hin wie es euch gerade passt! Menschengemachter Klimawandel, Erderwärmung – plötzlich war es gar nicht so gemeint.“

„Ihr?“, er lächelt.

„Na, du weißt schon“, sage ich, schon wieder etwas ruhiger.

Er nickt.

„Soll ich’s dir erklären?“, fragt er. „Ist nur eine Kleinigkeit.“

„Von mir aus.“

„Also zuerst mal: Du hast völlig recht, durch die moderne Lebensweise mit Maschinen, Fahrzeugen, Kraftwerken und so weiter, erzeugt die Menschheit gigantisch viel Wärme.“

„Sag‘ ich doch“, murmel ich.

„Und es ist auch richtig, dass der Mensch die Erderwärmung verursacht – auch wenn du es nicht glaubst.“

‚Ja was denn nun‘, denke ich. Sage aber nichts.

„Der Punkt ist: Das hat beides nichts miteinander zu tun. Höchstens indirekt.“ Er schaut mich an.

„Ach so“, sage ich. „Die Erwärmung hat also nichts mit unserer Wärmeerzeugung zu tun. Schon klar.“

Er lächelt wieder auf diese verständnisvolle Art, die mich manchmal wirklich auf die Palme bringen kann.

„Genau“, sagt er. „Und zwar, weil wir Menschen als Wärmequelle überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Es gibt eine viel größere.“

„Und was soll das sein?“, frage ich spöttisch, „Vulkane?“.

„Ääh, warum sind wir hier im Schatten?“, fragt mein Nachbar.

„Na weil wir draußen gebraten werden“, schüttle ich den Kopf. „Ach so“, sage ich, als der Groschen fällt. „Du meinst die Sonne.“

„Korrekt“, lächelt er. „Die Sonne flutet die Erde Tag für Tag mit Energie. Und das ist genau das Problem.“

„Die Sonne ist das Problem?“, frage ich verblüfft.

„Na ja“, sagt mein Nachbar, „geschaffen haben wir das Problem. Die Sonne ist ja einfach da. Ein Fakt, mit dem man sich besser arrangiert.“

Er überlegt und grinst schließlich schelmisch. „Obwohl … das sehen nicht alle so. Ich habe tatsächlich mal jemanden von deiner Entenpartei sagen hören: ‚Wenn die Sonne das Problem ist, müssen wir eben etwas gegen die Sonne tun.‘ Na ja, strunzdummes Politikergerede eben.“

„Entenpartei?“, rätsele ich.

Er winkt ab und fährt mit seiner Erklärung fort: „Also, von der Sonne kommt jeden Tag eine unmenge Energie. Ungefähr ein Drittel davon wird so wie sie ist reflektiert. Das meiste schon in der Atmosphäre, ungefähr ein Viertel an der Erdoberfläche, vor allem vom Eis. Die anderen zwei Drittel werden erstmal aufgenommen. Soweit klar?“

„Ist ja nun nicht so schwierig“, sage ich. „Im Prinzip wie unter unserem Baum hier: Die meiste Sonnenstrahlung hält er ab, aber warm ist es trotzdem.“

„Wunderbarer Vergleich“, nickt mein Nachbar. „Aber diese aufgenommene Strahlung bleibt nicht da wo sie aufgenommen wurde, sondern wird auch wieder abgegeben, aber verändert: als langwellige Wärmestrahlung nämlich.“

„Die Erde ist ein Strahlungswandler?“, wundere ich mich.

„Das ist mit allem so“, sagt er. „Alles will mit seiner Umgebung ins Gleichgewicht kommen, aber es kann ja nicht alles beliebige Strahlung abgeben. Steine, Boden und Wasser erwärmen sich durch die Sonnenstrahlung und geben deshalb eben Wärmestrahlung ab.“

Er sieht mich prüfend an und erklärt lieber noch weiter: „Wenn du mit deinem Brenner ein Stück Metall erhitzt, dann strahlt das doch auch Wärme aus. Wenn du es lange genug erhitzt, es zum Beispiel rotglühend machst, strahlt es irgendwann auch etwas Licht aus. Im wesentlichen aber eben Wärme.“

„Okay“, sage ich, „das ist ja eigentlich ganz klar“.

„Schön“, sagt mein Nachbar. „Das Problem ist nun, dass unsere Atmosphäre für diese langwellige Strahlung weniger durchlässig ist, als für die Sonnenstrahlung, die ursprünglich hereinkam. Denn die Atmosphäre besteht zu einem Teil aus Gasen, die langwellige Strahlung reflektieren. Und reflektieren bedeutet in diesem Fall: Zur Erde zurückwerfen. Und das für uns momentan wichtigste dieser Gase, der Treibhausgase, ist das CO2 – wie du sicher schon gelegentlich gehört hast.“

Ich nicke unwillig.

„Wir verursachen das Problem der Erderwärmung also nicht, indem wir zu viel Wärme erzeugen, sondern indem wir zu viel von der Wärme bei uns einsperren, die von der Sonne jeden Tag zu uns kommt. Jeden Tag sperren wir etwas mehr ein, weil wir jeden Tag zusätzliche Treibhausgase in die Atmosphäre schicken.“

Er sieht mich freundlich lächelnd an. „Das war dieser kleine Fehler in deiner Grundannahme – durchaus verständlich, aber eben doch von entscheidender Bedeutung.“

Ich bin unschlüssig, was ich davon jetzt halten soll. Wie immer hört sich das erstmal schlüssig an. An den Klimawandel glaube ich deshalb aber noch lange nicht. „Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen“, sage ich schließlich.

„Hmm“, sagt er, „lass mich mal überlegen … pass auf: Es ist ungefähr so, wie mit deinen Regentonnen.“

„Bitte?“, sage ich.

„Du hast doch das ganze Jahr über Kiefernnadeln auf dem Dach.“

„Leider“, sage ich.

„Und wenn du zulässt, dass sich zu viele Nadeln auf dem Dach ansammeln, dann verstopfen sie dir beim nächsten Regen die Rinnen und die Siebe. Alles läuft über und du hast das Wasser wieder im Keller stehen.“

Ich nicke. Das passiert mir tatsächlich immer wieder mal.

„Die Nadeln sind das CO2“, sagt mein Nachbar. „Wenn du zu viel davon auf dein Dach lässt, geht der Regen irgendwann nicht mehr seinen geordneten Weg, sondern überflutet alles. Und der Regen kommt auf jeden Fall. So wie die Sonnenstrahlung.“

„Dein Vergleich hinkt irgendwie“, sage ich – wenn ich momentan auch nicht genau weiß wie. „Aber danke für die Erinnerung. Ich muss tatsächlich unbedingt mal wieder das Dach fegen. Es soll nachher vielleicht regnen. Hast du Lust mir zu helfen?“

„Aber sicher“, sagt er, „wenn ich was Kaltes zu trinken kriege“.