Investitionsraum - Boomdorf 2
„Sag mal“, sagt mein Nachbar, als ich ihm später den leeren Teller zurückbringe, „ich hatte vorhin den Eindruck, dass dich die Geschichte mit den Grundstückspreisen ganz schön beschäftigt …“. Er sieht mich prüfend an.
„Na ja“, sage ich, „irgendwie schon“.
„Aber ihr wollt nicht wegziehen?“, vergewissert er sich.
„Nein, auf keinen Fall! Aber …“, ich überlege, ob ich damit rausrücken soll … Ach, was soll’s?: „Also, ich habe überlegt, den unteren Teil unseres Grundstücks zu verkaufen. Da würde ich … Also da könnte man locker zwei Einfamilienhäuser draufstellen, … die wollen ja alle gar keine richtigen Gärten mehr haben, die Leute. Denen genügt’s ja scheinbar, wenn sie um ihr Haus rumlaufen können.“
Mein Nachbar nickt lachend. „Aber nicht nebeneinander, dafür reicht der Platz denn doch nicht.“
„Und solche Grundstücke werden in unserer Gegend nicht mehr unter hundertausend angeboten. Eher mehr.“
„Allerdings ist dein Garten dann auch viel kleiner“, sagt mein Nachbar. „Und natürlich hast du dann plötzlich auch zwei Familien ziemlich dicht bei dir dran sitzen.“
„Kann doch nett sein“, sage ich. „Du bist doch sonst immer so dafür, dass junge Leute in den Ort ziehen.“
„Das bin ich“, gibt er zu. „Und es hätte außerdem den Vorteil, dass ich nicht mehr dauernd hier am Zaun stehen und mit dir quatschen muss. Hinter dem Zaun wohnt dann schließlich jemand anders. Um den müsste ich erstmal drum rum gehen.“ Er überlegt. „Und du auch.“ Er nickt vor sich hin. „Vielleicht ist das doch gar keine so üble Idee von dir …“.
Ich schaue ihn skeptisch an, manchmal bin ich mir total unsicher, ob er etwas ernst meint oder nicht. Er macht jedenfalls ein so verträumtes Gesicht, als würde er in die sonnigste Zukunft schauen. Daran, dass dann zwei Häuser zwischen ihm und mir stehen würden, hatte ich noch gar nicht gedacht.
„Meinst du das ernst?“, frage ich ihn. Und ich merke selbst, dass ich mich ziemlich besorgt anhöre.
„Wieviel mehr Zeit ich dann hätte …“, sagt er verträumt. „Nein“, sagt er dann plötzlich sehr bestimmt, „ich meine es nicht ernst. Es wäre mir total zuwider und ich fände es furchtbar.“
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Und in meiner Erleichterung kann ich mir nicht verkneifen, noch „Ähh, und was genau fändest du jetzt so furchtbar?“, hinterher zu schieben.
Er kneift die Augen zusammen und sieht mich finster an. Ich hätte es lassen sollen.
„Dass du dann so viel Geld hast natürlich“, blafft er mich an. „Was willst du überhaupt damit? Hast du dir das auch schon überlegt?“
Jetzt bin ich es, der verträumt ist. „Stell dir nur vor“, sage ich, „das könnte gut und gerne ’ne Viertelmillion sein. Vielleicht auch noch mehr. Das ist doch der Wahnsinn.“
„Und“, sagt er unerbittlich, „wozu? Was machst du dann damit?“.
„So ’ne Frage kannst auch nur du stellen“, sage ich kopfschüttelnd. „Als wäre es nicht völlig klar, dass es gut ist, viel Geld zu haben.“
„Wozu?“, wiederholt er. „Ihr arbeitet beide und verdient beide nicht schlecht. Das Haus ist bezahlt. Ihr geht bald in Rente. Nach dem was du erzählt hast, kommt ihr damit auch zurecht. Euren Kindern geht’s auch gut. Also wozu? Willst du dir einen goldenen Grill kaufen?“
Ich muss lachen. „Das wär doch mal was! Aber mal im Ernst, du hast schon recht. Uns geht’s soweit gut.“ Ich nicke bedächtig vor mich hin. Bei solchen Gelegenheiten fällt mir immer ein, was ich doch für ein Glück hatte. Es hätte auch ganz anders laufen können. Eine Zeitlang sah es wirklich nicht rosig aus.
„Und deshalb würde ich das Geld wahrscheinlich auch investieren.“ Ich sehe ihn an. „Mit so einer Summe kann man schon was erreichen.“
Er verdreht die Augen. Natürlich.
„Großartig. Du kannst mir schon jetzt nicht sagen, was du mit einem Haufen Geld anfangen würdest, also investierst du es, damit du noch mehr davon hast.“
Es hat eine gewisse Logik was er da sagt, aber ich lasse mir meinen Traum vom großen Geld jetzt nicht von ihm kaputtmachen. „Soll ich es etwa auf dem Konto liegenlassen, damit es von der Inflation aufgefressen wird?“
Er schüttelt den Kopf. „Du sollst deinen Garten behalten“, sagt er.
„Außerdem ist investieren doch gut“, sage ich. „Das ist sinnvoll.“
„Aha“, sagt er skeptisch, „in was würdest du denn investieren?“
„In Bitcoin!“, sage ich triumphierend.
„Ach du herrjeh“, sagt er und verdreht die Augen.
„Nix ach du herrjeh“, sage ich. „Das hätte ich schon längst machen sollen.“ Ich zögere einen Moment, ob ich ihm das jetzt erzählen soll … aber warum nicht: „Also, ich habe da diesen Kollegen …“.
„Wieder mal der …“, unterbricht er mich.
Ich nicke und er beginnt zu grinsen.
„Du brauchst gar nicht so zu grinsen“, sage ich. „Der ist mittlerweile schwerreich.“
„Oho!“
„Jawohl, habe ich selber gesehen. Der ist nämlich schon vor ´ner Weile da eingestiegen und mittlerweile hat er aus ein paar tausend Euro einige hunderttausend gemacht.“ Ich schüttle verzweifelt den Kopf. „Ich kann mich immer noch in den Arsch beißen, dass ich damals nicht mitgemacht habe. Er hatte mich gefragt.“
Mein Nachbar schaut mich nur milde lächelnd an.
„Er sagt jetzt immer“, fahre ich fort, „dass er nur noch so zur Arbeit kommt, aus Gewohnheit. Eigentlich hätte er es gar nicht mehr nötig.“ Ich überlege kurz. „Leider benimmt er sich auch so. Macht immer einen auf dicker Max und wenn man mal was von ihm will, macht man’s besser gleich selbst. Naja, ist aus seiner Sicht vielleicht auch verständlich. Er meint, er sei bald Millionär und dann haut er auf jeden Fall in’n Sack.“
„Und von dem willst du dich dann für deine Investitionen beraten lassen?“, fragt mein Nachbar.
„Klar“, antworte ich. „Er liegt uns ständig damit in den Ohren. Warum wir so doof seien und drauf bestehen arm zu bleiben. Ein paar haben auch schon ein bisschen was bei ihm investiert.“
„Bei ihm?“
„Ja“, sage ich achselzuckend, „das ist ganz schön kompliziert, wenn man das selbst machen will.“ Ich überlege. „Aber meine zwei- oder dreihunderttausend würde ich schon selbst verwalten. Das wäre ja Quatsch, das aus der Hand zu geben. Das kriege ich schon hin.“
Er sieht mich nachdenklich an, ich glaube ich habe ihn beeindruckt. Vielleicht will er ja etwas mitinvestieren; würde mich freuen.
Und es scheint wirklich so zu sein, denn er sagt: „Das musst du mir mal genauer erklären, komm rein.“
„Nee“, sage ich, „jetzt habe ich keine Zeit, ich wollte dir nur eben den Teller bringen.“
„Na dann heute Abend?“
„Ist recht. Oder morgen? Zum Kaffee? Das war doch sicher ein ganzes Blech Rhabarberkuchen.“
Er grinst. „Abgemacht.“