DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Vorwort zur Online-Veröffentlichung

Nachtrag zum Vorwort

Ich freue mich, dass meine kleine Geschichte über mein Erleben des Krieges, jetzt online zugänglich sein wird.
Vielleicht lesen es junge Menschen und denken: KLV? Kiritein? Luhatschowitz? War da nicht mal was? Hat nicht meine Oma, Mutter, Tante ... das mal erwähnt? Da frage ich sie doch mal nach. Wenn das geschähe, das würde mich freuen. Denn auch wenn mittlerweile viele aus meiner Generation gestorben sind - es leben doch auch noch einige. Und wie ich, würden sie sich vermutlich freuen, wenn sich ihre Lieben für ihre Geschichte interessieren.

Natürlich könnten sie auch von sich aus davon erzählen. Aber wahrscheinlich tun sie das nicht. Ich zumindest habe es nicht getan. Nie. Ich glaube, es liegt an der Erziehung. Zu meiner Zeit wurden Kinder dazu erzogen, den Mund zu halten. Kinder sieht man, aber man hört sie nicht. Außerdem wurde uns beigebracht, uns nicht zu beklagen. Und wir sollten uns auch ja nicht zu wichtig nehmen oder uns womöglich irgendwas einbilden. Zumindest galt das für Mädchen. Für Jungs waren die Regeln wohl etwas anders. Da ich aber nur eine Schwester hatte, kann ich das nicht aus eigener Anschauung bezeugen. Aber mir erschien es so.

Aber für alle galt, dass man über Persönliches, über seine Sorgen, seine Fragen und Probleme nicht spricht. Vielleicht mit Freunden, aber nicht mit der Familie. Und es war gar nicht so, dass mir das beigebracht wurde, ich erlebte einfach jeden Tag, dass es nicht geschah. Ich zumindest habe nie ein Gespräch meiner Eltern gehört, in dem persönliche Befindlichkeiten, Sorgen oder gar Probleme angesprochen wurden. Und wäre ich auf die Idee gekommen, mit etwas, das mich belastete zu meinen Eltern zu gehen? Mit etwas, das mich durcheinander brachte, das ich nicht verstand? Auf keinen Fall!

Das ist heute glaube ich etwas anders. Und das ist gut so. Dabei finde ich den Rummel, der heute um Kinder gemacht wird, oft maßlos übertrieben. Aber dass sich die Sicht auf Kinder geändert hat, dass sie ihre Meinung äußern können und dass versucht wird auf sie einzugehen, das finde ich toll.

Natürlich erlebe ich es schon seit vielen Jahren, dass sich das Verhältnis der Generationen zueinander verändert hat. Zum Beispiel sehe ich Kinder, die ihren Eltern widersprechen; in der Öffentlichkeit! Kinder, die sagen was sie wollen oder nicht wollen und die eigene Entscheidungen treffen, auch wenn diese den Eltern missfallen. Zu meiner Zeit wäre das als Respektlosigkeit betrachtet worden. Aber es passierte eben auch nicht.

Mir wird diese Veränderung gerade jetzt immer wieder sehr bewusst, wenn mein Sohn in langen Gesprächen versucht, mir Erinnerungen an Details der Vergangenheit zu entlocken. Er fragt zum Beispiel sehr detailliert, wie es mir in bestimmten Situationen ging und wie ich sie erlebte. Etwas, dass ich meine Eltern niemals gefragt hätte. Auch nicht als erwachsene Frau. Und wenn meine Antworten das Thema das ihn interessiert, zu sehr verlassen, bringt er mich oft recht umstandslos dorthin zurück. Ebenfalls ein Verhalten, das früher ausgeschlossen gewesen wäre.

Kurz gesagt, dass Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern ist nicht mehr so stark von Unterordnung und Gehorsam bestimmt. Es ist gleichberechtigter. Und das ist gut.

Denn wenn Kinder von klein auf lernen, ihre Sache und ihre Meinung zu vertreten, dann können sie es, wenn sie groß sind. So erscheint es mir jedenfalls. Ich bin nämlich immer wieder zutiefst erstaunt, wie selbstbewusst und wortgewandt junge Menschen heutzutage ihre Meinung vertreten. Zum Beispiel habe ich vor wenigen Tagen eine Reportage zum Christopher Street Day gesehen. Die von dem Reporter befragten jungen Leute äußerten sich unglaublich unbefangen und selbstbewusst zu diesen Themen. Und wenn ich Reportagen von den Klimademos sehe, kann ich es gar nicht fassen, wie sicher und souverän der Auftritt dieser Schülerinnen ist (es scheinen mir meist Mädchen zu sein, die dort sprechen).

Wie es sich wohl anfühlt, der Welt derartig selbstbewusst gegenüberzutreten?

Ich kann es mir nicht vorstellen. Beim besten Willen nicht.

Kassel, im Juli 2023