DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Straßenregeln

28. Mai 1945

Wie sah es damals auf der Straße aus? Die Fahrbahn, nicht so breit und schön ausgebaut wie heute, gehörte in erster Linie dem Militär. In rasantem Tempo sausten die Jeeps um schwerfällige Armeelaster herum und um die Pferdefuhrwerke, mit denen die Bauern auf ihre Felder fuhren. Ja, die Bauern waren damals alle noch mit Fuhrwerken unterwegs. Fußgänger gingen neben der Straße, meist gab es dort einen holperigen Feldweg. Zu meiner Überraschung waren sehr viele Fußgänger unterwegs. Aber es waren ausschließlich Männer, entlassene Soldaten auf dem Weg nach Hause. Frauen, die es doch bei der deutschen Wehrmacht auch gegeben hat, haben wir nie getroffen. Nur hin und wieder eine einzelne Flüchtlingsfrau. Wir fühlten uns den Soldaten mehr verbunden als den Flüchtlingen: Sie hatten das gleiche Ziel wie wir, sie wollten nach Hause. Die Flüchtlinge hatten meist nur eine vage Hoffnung, irgendwann irgendwohin zu kommen, wo sie bleiben könnten.

Da diese Wege meist sehr schmal waren, gingen alle im Gänsemarsch. Einzeln oder, wie wir, in einer kleinen Gruppe. Manche hatten viel Gepäck, manche gar keines. Eine Unterhaltung gab es unterwegs nicht, alle stapften vor sich hin. Geredet haben wir mit anderen vor allem in den Pausen. Wir merkten nämlich schnell, dass wir über Mittag besser eine längere Rast an einem schattigen Plätzchen machten, es war hochsommerlich warm. Dann setzten wir uns manchmal zu einer Gruppe Soldaten und manchmal setzten sich auch welche zu uns. Und dann gaben sie uns, da sie schon länger unterwegs waren als wir, wertvolle Tipps.

Das Wichtigste war natürlich die Verpflegungsfrage. Heute hatten wir beim Bauern morgens ein Frühstück erhalten. Aber das war Glück gewesen und würde nicht immer so sein. Wo bekommt man also etwas zu essen? Es gibt ja nichts frei zu kaufen, für alles brauchte man Lebensmittelkarten. Und die hatten wir nicht. Aber nun erfuhren wir, dass jeder Ortsbürgermeister, und den gibt es in so gut wie jedem Ort, über Reisemarken verfügt, die er auf Anforderung an die Durchreisenden abgibt. Das war eine sehr wichtige und sehr hilfreiche Information für uns, denn unser Magen knurrte schon gewaltig. Gleich im nächsten Ort würden wir versuchen, an solche Reisemarken zu gelangen.

Im nächsten Ort angekommen, suchten und fanden wir den Ortsbürgermeister. Zu dritt gingen wir hinein und fragten nach einer Lebensmittelkarte oder Lebensmittelmarken. Er sah uns überrascht an, fragte nach unseren Papieren und schaute sie sich sehr genau an. Dann stempelte er sie aber ab und gab uns Brotmarken für 500 Gramm Brot. Wir bedankten uns, gingen hinaus und suchten gleich den Bäckerladen, um das Brot zu kaufen. 500 Gramm für drei Personen ist nicht gerade üppig, doch wir hatten erst mal wieder etwas zu beißen.

Bei einer Unterhaltung während der nächsten Rast wurde uns erklärt, dass es vorteilhafter ist, sich die Marken einzeln zu holen. Und so haben wir es danach auch immer gemacht. Die Erste ging gleich morgens im ersten Ort, durch den wir kamen und holte sich ihre Ration. Die Zweite im nächsten Ort usw. Und wirklich, wir bekamen dann immer Marken für 500 Gramm Brot. Manche legten sogar noch ein paar Fett- oder Zuckermarken bei, manche erst, wenn wir ausdrücklich danach fragten. So ging es uns, was die Verpflegung betraf, eigentlich recht gut.

Auch mit der Unterkunftssuche am Abend hatten wir keine Probleme. Meist hielten wir schon ab 17.00 Uhr danach Ausschau. Und es hat immer geklappt. Es gab dort, wie wohl überall in Deutschland, viele kleine Bauernhöfe. Und jeder Bauer hat eine Scheune. Wenn wir fragten, ob wir in der Scheune schlafen durften, wurden wir nie abgewiesen. Erwarten durfte man allerdings nicht, auch etwas zu essen zu bekommen. Wenn man es allerdings geschickt anstellte, stiegen die Chancen. Zum Beispiel hatten wir gemerkt, dass wir bei zeitigem Erscheinen eher etwas bekamen. Die Bäuerin war dann meist noch in der Küche mit Vorbereitungen beschäftigt, auf dem Herd stand ein großer Topf mit Essen. Da konnten wir dann schon mal schnell jede eine Kelle voll Suppe ins Kochgeschirr.

Ja, das Kochgeschirr war wirklich sehr nützlich. Hätte ich meins tatsächlich in Kemnath vergessen, hätte ich ein echtes Problem gehabt. Aus dem Deckel konnte man unterwegs trinken oder bekam im Haus Tee oder Malzkaffee hinein. Das Unterteil war für Suppe genauso gut geeignet wie für Kartoffeln und Gemüse. Meist bekamen wir morgens auch noch ein Frühstück. Das konnte ein Brei aus Haferflocken sein oder einfach Stullen mit Marmelade. Und meist sogar mit Butter. Und wenn es die Bäuerin sehr gut mit uns meinte, dann gab sie uns noch ein paar beschmierte Stullen für den Weg mit. Die kamen natürlich auch wieder ins Kochgeschirr. Es war einfach unverzichtbar und wir hatten es immer griffbereit.