DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Frühstück in Luhatschowitz

Sommer 1942

Wenn es um den Weg zu den Mahlzeiten ging, hatten wir Glück. Unser Haus Smetana lag am hinteren Ende des Kurparks, recht nahe beim Kurmittelhaus. Dadurch hatten wir den kürzesten Weg von allen und sparten viel Zeit. Denn die Häuser waren ja im ganzen Ort verteilt, manche Kinder hatten deshalb einen Weg von gut zwanzig Minuten. Vor allem bei schlechtem Wetter konnten sie einem leidtun.

Ein recht großes, vierstöckiges Gebäude. Mit verschiedenen Giebeln und Balkonen, in freier Landschaft oder einem Park gelegen. Im Vordergrund eine kleine Brücke.
Eine alte Postkarte unseres Hauses.
Unser Zimmer war im Erdgeschoss und ging nach hinten raus, zum Wald.

Jetzt waren wir also beim Frühstück. Gegessen wurde in der Liegehalle des Kurmittelhauses. Ein großer Saal mit langen Tischen, sicher 20 oder 25 Plätze an jeder Seite. Jedes Haus hatte seinen festen Platz. Das galt aber nicht für uns Kinder, wir stürmten herein, um möglichst schnell etwas zu essen zu bekommen. Dann setzten wir uns auf irgendeinen der Plätze unseres Hauses.

Wenn wir ankamen, war der Frühstückstisch gedeckt. An jedem Platz standen ein Teller und ein Becher. Besteck gab es nicht, denn auf dem Tisch standen auch große Teller mit bereits geschmierten Marmeladenbroten, hoch aufgestapelt. Wenn man ankam nahm man seinen Becher und holte sich am Ausschank eine Tasse Milchkaffee. Der Ausschank sah so aus, dass da eine Küchenhilfe neben einem riesigen Kessel stand, aus dem sie einem mit einer Kelle das jeweilige Getränk in den Becher goss. War der Kessel leer, kam ein neuer aus der Küche. Wenn ich sage, dass wir zum Frühstück Milchkaffee bekamen, darf man das nicht falsch verstehen. Es war natürlich kein Bohnenkaffee, sondern Malzkaffee. Bohnenkaffee war damals noch ein Luxusprodukt und wurde in 25g Packungen verkauft. Im Krieg gab es aber sowieso keinen. Malzkaffee war für uns aber ein ganz normales Getränk, das immer nur Kaffee hieß.

Die fertig geschmierten Marmeladenbrotstapel waren beeindruckend: Große Brotscheiben, paarweise neben- und übereinander gelegt, sicherlich zwanzig Lagen hoch. Wenn man Glück hatte, erwischte man eine Scheibe mit viel Marmelade. Oder auch mal mit einer Frucht drauf. Aber meist war die Marmelade durch das lange Stehen schon eingezogen. Es war natürlich keine Butter oder Margarine darunter. Aber wir hatten immer Hunger und es gab keine Beschränkung. Wir konnten so viel essen, wie wir wollten bzw. so viel, wie wir in der Essenszeit schafften. Das war ja in Kriegszeiten nicht überall so.

War das Frühstück beendet, mussten wir zügig den Saal verlassen, denn gleich würde die nächste Gruppe kommen. Und vorher mussten ja noch die Tische abgeräumt und neu eingedeckt werden. Wir gingen also klassenweise gemeinsam zum Haus zurück. Auch wieder in Dreierreihen, aber nicht im Marschschritt. Dort angekommen hatten wir gerade noch Zeit, unsere Schulsachen zu nehmen und dann ging es ab in die Schule. Und das hieß: wieder zurück zum Kurmittelhaus. Denn dort, in den oberen Etagen, waren unsere Unterrichtsräume. Also wieder vor das Haus, gewartet bis alle aus unserer Klasse da waren, und in der gleichen Formation, in der wir vom Essen gekommen waren, ging es auch wieder zurück.

Von den sechs Lehrerinnen, die von unserer Schule mitgekommen waren, hatte ich nur eine im Unterricht. Ich musste mich also an viele neue Lehrkräfte gewöhnen. Aber da ich ja in der 1. Klasse drei Mal umgeschult worden war, hatte ich damit keine Schwierigkeiten. Der Unterricht verlief im Großen und Ganzen so wie zu Hause. Sogar die großen Tafel-Landkarten für Erdkunde waren mitgenommen worden. Aber in Chemie und Physik, beides sowieso schon nicht sehr anschauliche Fächer, wurde es nun vollends theoretisch. Denn Experimente gab es nun gar keine mehr. Ich ging eigentlich gern zur Schule und hatte an den meisten Unterrichtsfächern Spaß, mal mehr, mal weniger. Aber diese beiden mochte ich schon in Berlin am wenigsten und hier wurde es nicht besser.

Leider habe ich an den Unterricht selbst so gut wie keine Erinnerungen. Ich kann nicht mal sicher sagen, welche Fächer wir so hatten. Außer Handarbeiten. Handarbeiten hatten wir immer. Das wurde als für Mädchen sehr wichtig angesehen.