Neue Schuhe
Herbst 1945
Langsam kam der Herbst, die nasse Jahreszeit. Da merkte ich, dass meine Schuhe für dieses Wetter nicht geeignet waren. Es waren immer noch diejenigen, die meine Tante in Weimar für Erbsen eingetauscht hatte. Sie hatten mir bisher gute Dienste geleistet, aber sie hatten eine sehr dünne Sohle und nun, bei Regenwetter, hatte ich ständig nasse Füße. Wie sollte das erst werden wenn Schnee lag?
Aber solche Gedanken waren nutzlos: Ich hatte keine Wahl, es gab keine Schuhe zu kaufen.
Aber eines Tages kam mein Vater mit vier einzelnen, ganz verschiedenen Schuhen nach Hause. Er hatte sie in den Trümmern gefunden, die immer noch die meisten Straßenränder und viele freie Flächen bedeckten. Ich sollte sie anziehen um zu sehen, welche noch am ehesten passten. Da war ich ja nun ziemlich skeptisch. Wie sollte das denn gehen? Und wie die Schuhe aussahen. Schließlich lagen sie schon seit Monaten bei Wind und Wetter in den Trümmerbergen. Doch mein Vater säuberte sie vom gröbsten Dreck und bestand danach auf einer Anprobe. Und wirklich, zwei der Schuhe konnte man - mit viel Phantasie - für ein Paar halten. Sie hatten nicht die gleiche Farbe, einer war braun, der andere schwarz. Und sie hatten auch nicht meine Größe und auch beide nicht die gleiche, aber immerhin waren sie mir zu groß, nicht zu klein. Und der eine hatte vorne ein großes Loch in der Kappe. Aber mein Vater war mit dem was er gesehen hatte zufrieden und nahm die Schuhe erstmal wieder an sich.
Nach ein paar Tagen kam er dann abends zu mir und zeigt sie mir. Ich war wirklich freudig überrascht, sie hatten sich völlig verändert. Sie waren jetzt mit viel schwarzer Schuhcreme geputzt, sahen deshalb sehr gut aus und das Loch in der Kappe war verschwunden. Wie hatte er das fertiggebracht? Ganz einfach. Er hatte aus einem der nicht benötigten Schuhe Lederstücke herausgeschnitten und mir auf jeden Schuh eine zusätzliche Kappe genäht. Das hatte er so gut gemacht, dass ich es erst gar nicht gesehen hatte.
Dann kam der nächste Morgen und damit der Weg in die Schule. Jetzt war die Freude über meine neuen Schuhe schon etwas getrübt. Ich war sicherlich nicht besonders eitel, aber als ein 16-jähriges Mädchen achtete ich schon ein wenig auf mein Aussehen. Musste ich mich nicht schämen, mit solch ungleichen Schuhen unterwegs zu sein? Aber es half nichts, es hieß diese oder die alten und ewig kalte, nasse Füße. Und gut sahen die auch nicht mehr aus. Aber auf dem Weg zur Schule merkte ich sehr schnell, dass kein Mensch auf meine Schuhe achtete. Auf der Straße nicht und in der Schule erst recht nicht, denn da war es eng und dunkel. Es gab ja selten Strom am Tag.
Als es kälter wurde merkte ich dann, dass die Schuhe sogar groß genug waren um darin meine dicksten Socken zu tragen. Und als es richtig eisig wurde, passte sogar noch eine Lage Zeitungspapier hinein. Ich liebte meine Schuhe und habe sie noch die nächsten vier Winter getragen.