Gewichtsprobleme
„Du“, sage ich zu meinem Nachbarn, „mir ist wieder eingefallen, was ich dich neulich fragen wollte.“
„Na dann“, sagt er, „raus damit!“
„Und zwar habe ich letztens mit einem Kollegen über’s Turmspringen gesprochen“, fange ich an, „und warum die alle so extrem schlank und drahtig sind. Und er meinte, dass sie, wenn sie kräftiger wären, zu schnell fallen würden – dadurch hätten sie dann weniger Zeit für die Figuren.“ Ich sehe, wie sich die Stirn meines Nachbarn, die schon begann, sich in Falten zu legen, wieder glättet.
„Ich fragte mich schon“, sagt er, „wie du darauf kommst, mich was über Sport zu fragen. Aber scheint ja nicht so zu sein.“
„Nee“, sage ich. „Höchstens so am Rande. Jedenfalls mir fiel ein, dass ich mal irgendwo gehört habe, dass es gar nicht vom Gewicht abhängt, wie schnell etwas fällt. Woraufhin er meinte, dass er noch nie so einen Blödsinn gehört habe, einen Stein und ein Blatt aufhob, beides fallen ließ – und natürlich war der Stein eher unten. Ich kam mir ziemlich blöd vor und hab dann nichts mehr gesagt.“
Mein Nachbar grinst. „Und was genau willst du nun von mir wissen?“, fragt er.
„Na ja“, sage ich, „ich bin mir ziemlich sicher, mal sowas gehört zu haben, krieg’s aber nicht mehr zusammen und da dachte ich, …“. Ich beende den Satz nicht.
„Und da dachtest du, ‚Frag mal den alten Oberlehrer, der weiß sowas.‘“, sagt er.
„Ich hab doch schon gesagt, dass es mir leid tut, dich Oberlehrer genannt zu haben“, sage ich.
„Nee, nee“, sagt er, „stimmt ja schon“. „Also“, hebt er an, „du liegst mit dem was du gesagt hast völlig richtig, aber dein Kollege hat eventuell auch ein ganz kleines bisschen recht“.
„Super!“, platze ich heraus, „das freut mich aber. Der weiß nämlich immer alles besser, na ja, wahrscheinlich weiß er auch wirklich vieles, aber jedenfalls nervt er manchmal etwas.“
„Ist das der, der auch immer über Greta und die Klimaspinner lästert?“, fragt mein Nachbar.
„Genau“, sage ich.
„Verstehe“, sagt er und grinst.
„Also pass auf“, sagt er, „ich erklär dir das, es wird aber ein bisschen dauern. Wir machen das auf meine Oberlehrer-Art.“ Er grinst noch breiter.
„Ach du herrje“, sage ich. Das kenne ich schon, das kann dauern. „Dann hole ich mir schnell noch einen Kaffee“, sage ich. „Willst du auch einen?“
„Gerne“, sagt er. „Gute Idee. Ich hab auch noch Lebkuchen.“
Ein paar Minuten später machen wir es uns also mit Kaffee und Lebkuchen gemütlich und mein Nachbar fängt an.
„Wir gehen da ganz wissenschaftlich ran und überlegen uns erstmal, was wir eigentlich wissen wollen. Mit anderen Worten: Wie ist die Frage?“
„Na, fällt ein schwerer Gegenstand schneller als ein leichter?“, ich verstehe nicht, was das soll. Darum ging es doch von Anfang an.
„Hmm“, sagt er, „da können wir nicht besonders gut drauf aufbauen, ich würde sagen: ‚Welchen Einfluss hat die Masse eines Körpers auf seine Fallgeschwindigkeit?‘ Oder noch besser: ‚Wie berechnet sich die Geschwindigkeit eines fallenden Körpers?‘ Ist das für dich auch okay?“ Er sieht mich an.
Scheint mir nicht groß was anderes zu bedeuten, als das, was ich gesagt habe – aber ich werd‘ mich hüten zu diskutieren und nicke bloß.
„Gut“, fährt er fort, „das heißt, wir müssen die Formel für die Fallgeschwindigkeit herleiten und schauen, ob da die Masse drin auftaucht. Korrekt?“
„Könntest du mir die nicht einfach sagen, und gut ist?“, versuche ich das Ganze noch halbherzig abzukürzen.
„Nö“, sagt er, „die weiß ich aus dem Kopf jetzt auch nicht. Aber wir kriegen das raus. Hast du noch Kaffee?“
Ich nicke.
Er fährt fort: „Dazu müssen wir uns erstmal über das Wesen der Geschwindigkeit klar werden – was ist Geschwindigkeit?“
Ich schaue wohl so ratlos, dass er nach einer kurzen Pause fragt: „Na, wie messen wir Geschwindigkeit?“
„Du meinst .. mit dem Tacho?“, frage ich.
Er seufzt, „eher auf dem Tacho“.
„Ach so“, sage ich, „na, in Stundenkilometern“.
„So, so“, sagt er. „Und wie schreiben wir das hin? Kilometer mal Stunden? Oder wie?“
Ich überlege kurz und sage dann: „Natürlich nicht, das müssen doch Kilometer pro Stunde sein!“
„Genau“, sagt er. „Und wie würden wir das allgemein formulieren?“
„Wie, allgemein?“
„Na, unabhängig von Kilometern und Stunden.“
„Meinst du Meter pro Sekunde?“, frage ich ratlos.
„Nein“, sagt er, „ich meine: Längeneinheit pro Zeiteinheit“.
„Ach so“, sage ich, „aber das ist doch klar“.
„Und warum sagst du’s dann nicht? Na, egal. Also, Geschwindigkeit ist die in einer bestimmten Zeiteinheit zurückgelegte Strecke.“
Ich nicke stumm, trinke noch einen Schluck Kaffee und denke: „Gut, dass ich die ganze Kanne mit rausgebracht habe“.
„Die Frage ist nun“, fährt er fort, „wie berechnen wir die Geschwindigkeit?“
„Wieso?“, sage ich erstaunt, „Ich denke wir haben jetzt die Formel für die Geschwindigkeit?“ Ich nehme meinen Kaffeelöffel in die Hand und halte ihn etwa einen Meter über den Boden. „Wenn ich den jetzt fallen lasse und er braucht für den Meter eine Sekunde, dann ist seine Geschwindigkeit ein Meter pro Sekunde. Oder?“
Mein Nachbar lächelt. „Und wenn du dich in dein Auto setzt und die fünfzig Kilometer in die Stadt fährst, brauchst du dafür ungefähr eine Stunde. Also ist deine Geschwindigkeit fünfzig Kilometer pro Stunde?“
Ich bin verwirrt, „Nee, natürlich nicht. Das ändert sich doch dauernd. Hier im Ort fahre ich dreißig, auf der Landstraße achtzig und auf der Autobahn gebe ich dann richtig Gas – wenn ausnahmsweise kein Stau ist.“
„Genau“, sagt er. „Und beim Löffel ist es natürlich nicht so ein Hin und Her, aber am Anfang ist seine Geschwindigkeit Null, dann bekommt er irgendeine Geschwindigkeit – oder auch verschiedene, das müssen wir noch rauskriegen – und am Ende ist sie wieder Null. Was du also beschrieben hast, ist die Durchschnittsgeschwindigkeit.“
„Na gut“, sage ich, „wäre ja auch zu einfach gewesen“.
„Fall es dich tröstet“, sagt er, „dein Konzept der Geschwindigkeit ist genau dasselbe, das die Menschen bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein hatten. Bis ein gewisser Galilei sich so ähnliche Gedanken machte, wie wir gerade.“
„Das war der mit dem Apfel“, sage ich.
„Der mit dem Apfel war Newton“, sagt er. „Ist aber ein guter Hinweis, zu dem kommen wir vielleicht auch noch.“
„So, jetzt kommt wieder eine Frage an den aufmerksamen Schüler:“, sagt er und grinst schelmisch, „Was brauchen wir denn jetzt, wenn wir sagen, die Geschwindigkeit nimmt verschiedene Werte an? Wovon hängt das ab?“.
Er schaut mich fragend an.
„Na toll“, denke ich, „hätte ich bloß nicht gefragt!“ Aber sagen tue ich: „Na, im Auto hängt es davon ab, wie fest ich auf’s Gas drücke.“
„Ja“, sagt er gedehnt, „nicht schlecht. Aber allgemein gesprochen …?“
„Keine Ahnung“, sage ich. „Gas geben?“ und dann fällt mir noch ein: „Und Bremsen natürlich“.
„Och Mensch“, sagt er, „hast du dein Autoquartett vergessen? Was war da immer wichtig? PS, Höchstgeschwindigkeit und …“, er schaut mich fragend an.
Mir ist klar, dass ich da jetzt irgendwas grundlegendes nicht parat habe, aber ich kann nur die Schultern zucken.
„Beschleunigung?“, sagt er fragend.
„Natürlich“, nicke ich und denke: „Manchmal ist man ja wirklich wie vernagelt“.
„Okay“, sagt er, „im Auto ändern wir die Geschwindigkeit, indem wir Gas geben – also beschleunigen – oder bremsen, was einfach negative Beschleunigung ist. Und die Umgangssprache verwendet hier genau den Begriff, den auch die Physik benutzt – ‚Beschleunigung‘ ist genau die Größe, die wir für unsere Gleichung brauchen.“
„Schön“, sage ich.
„Aber zuerst sagst du mir noch, welche Einheit die Beschleunigung hat.“ Er sieht meinen ratlosen Blick und erklärt es gnädig gleich selbst: „Die Beschleunigung beschreibt die Änderung der Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der Zeit. Zum Beispiel von Null auf Hundert in 10 Sekunden. Wir haben also die Einheit der Geschwindigkeit – Länge pro Zeiteinheit – und das wiederum pro Zeiteinheit, ergibt: Längeneinheit pro Zeiteinheit im Quadrat. Typischerweise Meter pro Quadratsekunde.“
„Wollte ich gerade sagen“, lüge ich und wir grinsen uns an.
„Weiß ich doch“, sagt er, „ich wollt nur angeben“.
Ich schenke mir noch einen Kaffee ein und nehme mir auch noch einen Lebkuchen, diesmal einen mit Schokolade.
„Gute Idee“, sagt mein Nachbar, greift auch zu seiner Tasse und beißt von seinem Lebkuchen ab.
„Okay“, sagt er dann und nimmt schnell noch einen Schluck, „jetzt haben wir schon fast alles, was wir brauchen. Um zu wissen, wie sich die Geschwindigkeit ändert, brauchen wir nur noch den Wert der Beschleunigung – und der ist ja bekannt.“
„Ach so?“, sage ich.
„Na klar“, sagt er, „die Erdbeschleunigung: 9,81 m/s²“.
„So schnell beschleunigt die Erde auf ihrer Umlaufbahn?“, frage ich.
Ich bin nicht ganz sicher, weil er sich gerade weggedreht hat, aber mir schien es doch, als hätte er kurz die Augen verdreht.
Mein Nachbar überlegt einen Moment und sagt dann: „Sorry. Ich habe da einen zwar gebräuchlichen, aber doch missverständlichen Begriff benutzt. Gemeint habe ich die Fallbeschleunigung. Das ist der Wert, mit dem jeder fallende Körper durch die Erdanziehung beschleunigt wird. Darum ging es uns ja: Wovon hängt die Geschwindigkeit eines fallenden Körpers ab?“
Ich kann mich zwar kaum noch erinnern, wie das alles anfing, nicke aber ergeben.
„So“, sagt er, „jetzt haben wir es eigentlich schon fast. Schau dir noch mal die Einheiten für Geschwindigkeit einerseits und Beschleunigung andererseits an: Meter pro Sekunde und Meter pro Sekunde im Quadrat. Wir haben die Beschleunigung – die 9,81 – und wir wollen eine Gleichung haben, in der sie auf der einen Seite steht und auf der anderen die Geschwindigkeit. Wie kommen wir jetzt vom einen zum anderen?“
Ich stelle mir die Formeln vor meinem geistigen Auge vor und krame ganz tief in meinen lang zurückliegenden Erinnerungen an die Bruchrechnung – und habe plötzlich einen Geistesblitz: „Wir müssen die Beschleunigung mit der Zeit multiplizieren! Dann kürzen sich die Sekunden einmal raus und übrig bleibt die Geschwindigkeit.“ Ich bin rasend stolz.
„Super!“, sagt mein Nachbar und es hört sich wirklich ernstgemeint an, „genau das brauchen wir: Die Zeit, über die die Beschleunigung einwirkt. Und wovon ist die abhängig?“
Ich bin jetzt wieder hellwach und überlege angestrengt: „Wie lange wirkt die Beschleunigung? Na, so lange, wie etwas fällt. Und je weiter oben man es loslässt, desto länger fällt es“. „Von der Fallhöhe“, sage ich.
Mein Nachbar steht tatsächlich einen Augenblick mit offenem Mund da, ein wunderbarer Anblick. Dann sagt er langsam: „Nicht zu fassen. Ausgezeichnet!“
„Und vielleicht ist dir aufgefallen“, fügt er hinzu, „dass hier nirgendwo die Masse auftaucht. Wir haben nirgendwo Kilogramm in unserer Gleichung, nur Meter und Sekunden. Die erreichte Fallgeschwindigkeit errechnet sich, so wie du gesagt hast“, er sieht mich strahlend an, „als Fallbeschleunigung mal der verstrichenen Zeit. Und diese Zeit wiederum ist nur abhängig von der Fallhöhe. Die Masse bleibt also völlig außen vor.“
Ich überlege und versuche, mir das vorzustellen; intuitiv leuchtet es mir nicht ein. Dann fällt mir etwas ein: „Diese Fallbeschleunigung hast du ja einfach so aus dem Hut gezaubert, aber vielleicht ist die ganz unterschiedlich. Sie kann doch für schwere Sachen größer sein als für leichte, oder?“
Mein Nachbar lächelt wieder, „du meinst, die Erde zieht an einem Stein vielleicht einfach stärker als an einer Feder und deswegen ist er schwerer und fällt schneller?“
„Könnt ja sein“, sage ich.
„Du kannst mir glauben, dass es so ist wie ich sage. Die Erdanziehung ist an verschiedenen Orten minimal unterschiedlich, das liegt aber nur daran, dass die Erde keine perfekte Kugel ist. Die 9,81 sind also ein Mittelwert, international festgelegt. Und dieser Wert ist durch vermutlich zehntausende Messungen bestätigt. Aber wie es so ist, manches lässt sich nur experimentell beweisen. Im Netz gibt es sicher haufenweise Videos dazu.“ Er schaut mich an und sieht, dass ich immer noch skeptisch bin.
„Okay“, sagt er, „vielleicht reicht ja auch ein kleines Gedankenexperiment: Wenn es so wäre, dann müsste, wenn du etwas in seine Einzelteile zerlegst, die Summe der Einzelgewichte geringer sein, als das Gewicht des ganzen Körpers, oder?“ Er sieht mich fragend an.
Ich versuche es mir vorzustellen, bin aber nicht sicher.
„Pass auf“, sagt er, „du hackst doch gerne Holz“.
Ich nicke.
„Wenn du also einen Klotz von ein paar Kilo hast und du machst daraus lauter Anzündespäne, von denen jeder einzelne federleicht ist, dann ist das Gewicht aller Späne zusammen hinterher immer noch genau so groß wie das des Klotzes war, oder? Würde die Erde aber an den Spänen jeweils weniger stark ziehen als am Klotz, wäre das nicht so.“ Er sieht mich hoffnungsvoll an.
„Und außerdem“, fügt er hinzu, „wie soll unsere Mutter Erde denn wissen wie stark sie jeweils ziehen muss? Zum Beispiel wenn sie am Mond zieht …“ Er führt den Satz nicht zu Ende. „Nein, der Wert der Fallbeschleunigung ist für alle Körper gleich – und auch für Gase, einfach für alles“, fügt er hinzu. „Er hängt ein klein wenig vom Ort ab und ansonsten nur von der Entfernung zur Erdoberfläche.“
„Na gut“, sage ich, „das erscheint mir einleuchtend“. Nehme mir aber vor, demnächst mal das Experiment mit dem Brennholz zu machen. Und dann fällt mir ein, wie wir angefangen haben: „Tja“, sage ich, „aber trotzdem fällt ein Stein schneller als ein Blatt, oder?“
„Ja“, sagt mein Nachbar, „aber fällt ein großer Stein auch schneller als ein kleiner Stein? Und fällt ein Fallschirm in seinem Rucksack genauso schnell, als wenn er draußen wäre? Die Masse bleibt ja gleich.“
„Ach so“, sage ich. So langsam verstehe ich. „Es liegt am Luftwiderstand.“
„Genau“, sagt mein Nachbar. „Das Blatt oder nehmen wir – ganz klassisch – eine Feder, den Inbegriff der Leichtigkeit. Die Feder ist von der Natur ja gerade dafür geschaffen, einen möglichst großen Luftwiderstand zu bieten: Der Vogel stößt sich damit ja sozusagen von der Luft ab. Deshalb wird sie, wenn wir sie fallenlassen, von der Luft sehr effektiv aufgehalten. Sie trudelt ganz gemächlich zu Boden. Wahrscheinlich wirken auch verschiedene Verwirbelungseffekte, aber vor allem hat sie für ihr extrem geringes Gewicht eine sehr große Querschnittsfläche. Der Stein hat hingegen eine extrem hohe Dichte, große Masse, bei kleinem Querschnitt. Wenn wir hier auf der Erde etwas fallen lassen, wirkt immer der Luftwiderstand und der hängt von Form und Beschaffenheit des Körpers ab.“
„Klar“, sage ich, „deshalb sehen Rennwagen anders aus als“, ich zögere, „na, als Wohnmobile zum Beispiel“.
„Genau. Aber im Vakuum wäre es anders und genau das hat Galileo schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts prophezeit, nachdem er damit experimentiert hat, wie sich fallende Körper verhalten. Und das, obwohl ein Vakuum damals undenkbar war. Und weißt du was ich wirklich hübsch finde?“
„Keine Ahnung“, sage ich.
„Dass die Astronauten von“, er zögert, „ich glaube es war Apollo 15, genau diesen Versuch auf dem Mond gemacht und gefilmt haben und Galileo dabei auch extra erwähnt haben. Sie ließen eine Feder und einen Hammer fallen und beides kam gleichzeitig am Boden an. Ist das nicht nett?“
„Verstehe ich nicht“, sage ich, „was findest du daran so bemerkenswert? Ist halt einfach irgendeine Sache, die man so für die Kamera macht.“
„Ja“, sagt mein Nachbar, „könnte man meinen. Aber Galileos Arbeit, hier eben seine Fallversuche und seine Entdeckung der gleichmäßigen Beschleunigung, die kann man mit Fug und Recht als den Beginn der modernen Naturwissenschaften sehen, die auf Experimente, Messungen und mathematische Analyse setzt, statt auf Glauben. Und andererseits sind da die Astronauten auf dem Mond, das war zu diesem Zeitpunkt der absolute Höhepunkt der angewandten Wissenschaft, sie erweisen dem Mann ihre Referenz, ohne den das so nicht möglich gewesen wäre. Mir gefällt das“, schließt er.
„Wenn man’s so sieht“, sage ich, „hast du wohl recht“.
„Übrigens“, sagt er, „um nochmal auf deinen allwissenden Kollegen zu kommen – musst du ihm aber nicht sagen – was ich dir da eben vorgesetzt habe, ist wirklich der Beginn der klassischen Physik. Und, ich erinnere mich jetzt nicht mehr, wie es bei mir in der Schule war, aber weil es derartig grundlegend ist, ist es vermutlich auch mit das Erste, was man in Physik in der Schule lernt.“
Ich schlucke hörbar.
„Nee“, sagt mein Nachbar, „mach dir keinen Kopf. Was einen nicht interessiert, das vergisst man schnell wieder. Ist eben so. Andererseits ist das hier für einen Physiker noch nicht mal Kindergartenniveau. Aber wenn man als Laie behauptet sich gut auszukennen, dann aber derartig falsch liegt … na, dann kennt man sich eben nicht gut aus.“
Das freut mich irgendwie denn doch.
Er steht auf und wendet sich zur Tür. „Ach so“, sagt er und dreht sich um, „es heißt übrigens Wasserspringen“.
Ich bin verwirrt, „was heißt wie?“
„Na, es heißt Wasserspringen, nicht Turmspringen.“
Ich schaue meinen Nachbarn an, mit seinem kleinen Bauch und dem passablen Hüftspeck, der sich absolut nie für Sport interessiert und schüttle den Kopf. „Wieso weißt du sowas?“, frage ich.
„Ich habe das früher mal eine Weile gemacht“, sagt er, „sonst wüsste ich es tatsächlich nicht. Habe ich dir das nie erzählt?“
Ich schüttle den Kopf. „Na ja“, sagt er, war nur so zum Spaß. Ich glaube so drei Semester lang bin ich ein- vielleicht auch zweimal die Woche morgens in die Halle. Hab’s aber nicht weit gebracht“, grinst er und klopft sich auf die Hüften: „War einfach immer zu schnell im Wasser“. Er hebt nochmal die Hand zum Gruß und geht.