DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Spaltmaß

»Wo bleibt sie denn nun, deine Klimaerwärmung«, frage ich meinen Nachbarn und ziehe dabei demonstrativ meine Strickjacke enger zusammen, stecke die Hände unter die Achseln und bibbere ein wenig.

»Wie meinen?«, fragt er überrascht. Er kommt gerade auf mich zu und ist immer noch einige Meter entfernt.

»Na ich meine, dass wir Mitte Juni haben und ich so langsam überlege die Heizung wieder einzuschalten. Das meine ich.«

»Ach so.« Er zögert einen Moment und sagt dann: »Irgendwie hatte ich gedacht, wir hätten so eine unausgesprochene Übereinkunft, nicht mehr übers Klima zu reden ... Aber von mir aus.« Er überlegt. »Eigentlich passt mir das sogar ganz gut, ich habe mir nämlich etwas überlegt, wie es ganz einfach zu erklären ist. Pass auf: ..«

»Hör auf«, unterbreche ich ihn ziemlich barsch, »da will ich jetzt wirklich nichts von hören.«

»Stell dir einen Topf vor ...«, bringt er noch heraus, dann sieht er mich verblüfft an.

»Und von Töpfen will ich schon gar nichts hören«, sage ich, noch um einiges heftiger.

»Schon gut, schon gut.« Er sieht mich mit leicht geneigtem Kopf an. »Sag mal«, fragt er dann, »kann es sein, dass du nicht besonders gut drauf bist?«

»Worauf du einen lassen kannst!«

»Magst du mir erzählen was los ist?«

Ich denke darüber nach. »Na schön«, sage ich. »Ich hatte ein bisschen Ärger ...«
Ich deute mit einem Kopfnicken zum Haus.

»Mit ...«

Ich nicke. »Dabei hab ich's nur gut gemeint«, platzt es aus mir heraus. »Und dann macht sie so ein Theater. Völlig unangemessen.«

»Was war denn los?« fragt er, sehr freundlich und teilnahmsvoll.

»Mein Schwager kommt nachher mit seiner Familie«, sage ich. »Und meine Frau will so ein richtig protziges Menü präsentieren. Ich glaube es geht vor allem darum seine Frau zu beeindrucken, die macht immer so ein Gewese ums Essen. Na wie auch immer, jedenfalls steht sie schon den ganzen Tag in der Küche und bereitet alles mögliche vor, verschiedene Soßen, irgendeine aufwendige Süßspeise ... was weiß ich.«

»Hört sich erstmal ziemlich gut an«, sagt mein Nachbar. »Denk an mich, wenn was übrig bleibt. Deine Frau kocht wunderbar.«

»Da wird nichts übrig sein«, sage ich. »Na jedenfalls hat sie mich gebeten kurz auf den Herd aufzupassen, weil sie noch ein paar Kräuter aus dem Garten holen wollte. Als könnte ich das nicht genauso machen.«

»Aha«, sagt mein Nachbar.

»Ich solle nichts tun, hat sie gesagt, nur aufpassen, dass nichts überkocht.«

Er brummt verständnisvoll.

»Ich stelle mich also an den Herd und starre die Töpfe an. Sie hat tatsächlich auf allen Flammen etwas stehen. Dann sehe ich, dass sie mit deiner Frau redet. Na, denke ich, das kann ja dauern. Ich hole also mein Handy raus um ein bisschen zu schauen was es Neues gibt. Aber dann fällt mir ein, dass ich ja aufpassen soll. Ich schaue also wieder auf den Herd. Und da fällt mir auf, dass die Deckel alle gar nicht richtig auf den Töpfen liegen. Überall dampft es raus.«

»Oh, oh«, sagt mein Nachbar, aber ich beachte ihn gar nicht.

»Also denke ich: Das ist doch Energieverschwendung und mache die Deckel zu. Und außerdem kann es ja auch nicht überkochen, wenn der Deckel zu ist. Eine perfekte Lösung. Muss denn immer erst ein Mann kommen, denke ich und dann vertiefe ich mich kurz in Fiesbook. Dabei bin ich wohl ein bisschen abgeschweift, jedenfalls brüllt mich plötzlich meine Süße an, ob ich denn für alles zu blöd sei und schubst mich beiseite.«

Ich schaue meinen Nachbarn an und sehe, dass er die Lippen zusammenkneift. Offensichtlich gibt er sich große Mühe nicht zu lachen und stattdessen ein mitfühlendes Gesicht zu machen.

»Du kannst dir scheinbar denken was passiert ist«, sage ich.

Er nickt.

»Auf dem Herd war das totale Chaos. Aus einem Topf quoll ein weißer Schaum, aus einem anderen etwas rotes, vermutlich Tomatensoße und aus dem dritten etwas blaues. Wahrscheinlich irgendwas für den Nachtisch, aus Heidelbeeren. Und aus dem vierten kam etwas dickes gelbes, sah aus wie Käsesoße. Ich wollte mich entschuldigen, alles erklären, aber sie hat mich einfach rausgeschmissen. Das war vor einer halben Stunde, seitdem stehe ich hier.«

»Ich kann's nicht glauben«, sagt mein Nachbar.

»Jetzt tu nicht so schlau«, sage ich. »Das hätte dir genauso passieren können. Und außerdem habe ich doch recht, es ist doch Energieverschwendung wenn man den Deckel offen lässt. Du sagst doch dauernd, dass wir Energie sparen müssen.« Ich sehe ihn herausfordernd an.

Er schaut ungerührt zurück und sagt: »Das wäre mir so eher nicht passiert, aber das habe ich nicht gemeint. Und was die Energieverschwendung angeht ...«

»Was hast du dann gemeint?«, frage ich. »Was kannst du nicht glauben?«

»Ich habe doch vorhin gesagt, ich habe mir etwas überlegt um die Klimakatastrophe einfacher zu erklären. Und ich bat dich, dir einen Topf vorzustellen. Erinnerst du dich?«

»Natürlich«, sage ich. »Ist ja erst zwei Minuten her.«

»Na ja«, sagt er. »Was ich mir überlegt habe ist genau das, was du mir gerade erzählt hast.«

»Ich versteh kein Wort«, sage ich.

»Pass auf«, sagt er. »Die Soßen sollten wahrscheinlich eindicken, also lässt sie sie so ganz leicht kochen, damit das Wasser austritt. Und der Deckel ist offen, damit der Dampf aus dem Topf kann. Außerdem geht damit auch Wärme raus.«

»Sag ich doch«, werfe ich ein: »Energieverschwendung.«

»Da hast du recht«, sagt er geduldig, »aber das geht hier nicht anders. Deine Frau ist eine fabelhafte Köchin, ...«

Ich nicke.

»... die weiß was sie tut. Die Soßen sollen eindicken, also muss der Deckel offen sein. Sie hatte die Temperatur vermutlich genau so eingestellt, dass es gerade eben köchelt, auch wenn immer etwas Wärme mit dem Dampf abzieht. Du hast natürlich recht, dass du Energie sparen kannst indem du den Deckel schließt ... aber natürlich nur, wenn du dann auch weniger Wärme zuführst. Du hättest also die Flammen kleiner stellen müssen.«

»Sonst spare ich natürlich nichts«, nicke ich. »Da hast du wohl recht.« Ich komme mir plötzlich ziemlich blöd vor und sage schnell: »Und was soll das nun mit dem Klimaquatsch zu tun haben?«

»Naja, weil die Wärme jetzt nicht mehr entweichen konnte, wurde es im Topf immer heißer und der Druck stieg. Das Ergebnis hast du ja gesehen.«

»Ich verstehe wirklich nicht was du meinst«, sage ich ratlos.

»Ganz einfach: Die Erde ist der Topf, die Atmosphäre ist der Deckel und die Sonne ist der Herd.«

»Hä?«

»Wir machen den Deckel zu«, sagt er traurig. »Die Klimagase sorgen dafür, dass die Energie, die von der Sonne zu uns kommt, weniger gut wieder zurück ins All kann. Für einige tausend Jahre hatten wir ideale Bedingungen. Im Atmosphärendeckel war genau der richtige Spalt offen. Jetzt geht er langsam immer mehr zu. Aber die Sonne schickt natürlich weiterhin die gleiche Menge Energie. Wie dein Herd. Und deswegen wird es bei uns bald so aussehen wie zwischen deinen Töpfen.«

Unwillkürlich habe ich wieder dieses bunte Chaos vor Augen. Das finde ich nun doch keine so angenehme Aussicht.

»Und das wolltest du mir erzählen?«, frage ich.

»Nicht so schön bunt, aber ja, im Prinzip. Ich hatte nach einem leicht verständlichen Modell gesucht und dann«, er grinst, »ist mir neulich mal wieder das Nudelwasser übergekocht.«

»Also doch«, sage ich triumphierend.

»Naja, der Deckel hätte eigentlich einen Spalt offen sein sollen, aber er rutscht immer wieder zu.« Er zuckt die Achseln. »Eigentlich sollte ich es langsam gelernt haben.« Er grinst schief.

Irgendwie tröstet mich das.

»Aber«, sage ich, als mir einfällt wie unsere Unterhaltung begonnen hatte, »es ist ja nun mal gerade nicht besonders warm, oder?« Und zottel bedeutungsvoll an meiner Strickjacke. »Deine Geschichte ist ja ganz hübsch, aber wenn mehr Wärme hier bleibt, wieso ist es dann gerade so kalt?«

»Ja«, sagt er, »auf unserem winzigen Fleckchen Erde ist es gerade etwas kühler als sonst um diese Zeit. Aber im größten Teil der Welt ist es wärmer. Es geht ja immer um den Mittelwert für die ganze Erde. Und die ist ziemlich groß. Aber es ist tatsächlich so einfach: Die Sonne heizt unseren Topf und der Deckel geht langsam zu. Dadurch kommt hier alles durcheinander. Das Eis schmilzt, dadurch gibt es mehr flüssiges Wasser. Weil es wärmer ist gibt es aber auch viel mehr Wasserdampf, also regnet es mehr. Weil das Eis verschwindet ändern sich die großen Strömungen, die im Wasser und die in der Luft. Wärme und Feuchtigkeit bewegen sich deshalb völlig anders um die Welt als bisher. Kurz gesagt, alles ändert sich. Es wird nicht einfach nur ein bisschen wärmer. Im Erdsystem ist mehr Energie und die ... wie soll ich sagen, ... die macht Sachen. Wenn du irgendwo ordentlich Energie reingibst, dann kommen Dinge in Bewegung. Und zwar richtig.«

»Du kannst einen wirklich aufrichten«, sage ich. »Aber was mache ich denn nun?«

»Außer die Welt zu retten?«

»Am Wochenende? Spinnst du? Nein, wegen dem Essen. Die kommen bald. Kannst du dir vorstellen wie furchtbar das wird?«

Er sieht mich zweifelnd an. »Das ist doch ganz klar: Du gehst jetzt rein, nimmst deine Frau in den Arm, sagst, dass es dir furchtbar leid tut, dass sie die Beste ist und du ein Trottel, der sie gar nicht verdient hat.«

»Trottel?«, fahre ich dazwischen.

»Von mir aus Dummkopf.« Er überlegt kurz. »Und dann sagst du, dass du den anderen erklären wirst was passiert ist und du sie deswegen in die Mühle einlädst.«

»Ist nicht dein Ernst. Die werden den ganzen Abend Witze über mich machen.«

»Quatsch. Dein Schwager wird ein paar Sprüche machen und das wars. Sie werden eher staunen ... man erlebt es nicht mehr so oft, dass jemand zugibt einen Fehler gemacht zu haben und die Verantwortung übernimmt.«

»Das kannst du tatsächlich laut sagen«, sage ich.

»Allerdings ...«, er sieht mich nachdenklich an, »solltest du auch die Töpfe schrubben und den Herd putzen ...«

»Das machst du extra«, funkel ich ihn an. »Immer noch einen oben drauf.«

»Gehört es sich denn nicht so«, fragt er ganz unschuldig, »dass man den Mist den man gemacht hat auch wieder in Ordnung bringt?«