Einkaufsstress
„Sag mal, hast du in letzter Zeit mal mit meiner Frau über’s Einkaufen gesprochen?“, frage ich meinen Nachbarn.
Er stutzt. „So unter uns Hausfrauen meinst du? Wie kommst du denn da drauf?“
„Na ja, sie hat mir vorhin verboten Thunfisch zu kaufen und wenn überhaupt, dann nur garantiert delphinfrei gefangenen – das klang mir sehr nach deinem Einfluss.“
„Da tust du mir jetzt aber wirklich unrecht!“, sagt er, ein wenig empört. „Du könntest wissen, dass ich niemandem sage wie er zu leben hat.“
„Wie bitte?“, ich bin verblüfft. „Das machst du doch dauernd mit mir?“
„Nö“, sagt er. „Wir tauschen gelegentlich unsere Meinung über gewisse strittige Punkte aus, aber ich sage sicher nie, mach dieses oder mach jenes. Aber um es kurz zu machen, nein, ich habe mit deiner Frau nicht über Thunfisch gesprochen.“
„Auch nicht über Palmöl?“
„Wieso denn jetzt Palmöl?“
„Na, weil ich seit einiger Zeit auch darauf achten soll, ob irgendwo Palmöl drin ist.“
„Nein“, sagt er ernsthaft, „ich versichere dir, dass ich mit ihr auch nicht über Palmöl gesprochen habe.“ Und fügt hinzu: „Aber das ist auch gar nicht notwendig. Wenn man nicht mit Scheuklappen durchs Leben geht, bekommt man auch so mit, dass es an Palmöl einiges auszusetzen gibt. Und deine Frau liebt doch Delphine, oder?“
„Sie liebt alle Tiere“, sage ich seufzend.
„Während du sie vor allem auf deinem Grill liebst“, grinst mein Nachbar.
„So ist es ja nun auch nicht!“, ich bin entrüstet. „Deine Hunde mag ich doch und exotische Tiere finde ich sowieso spannend – aber einige Tiere, also ich meine unsere Nutztiere, die sind doch nun mal zum Essen da.“
„Naja“, wiegelt er ab, „wie auch immer. Wahrscheinlich hat sie eine Dokumentation über Delphine gesehen und darin wurde dann wahrscheinlich erwähnt, dass beim Thunfischfang sehr viele Delphine mit ins Netz gehen – und das überleben sie meist nicht.“
„Aha. Und deshalb habe ich heute ewig suchen müssen, bis ich Dosen mit delphinfreundlich gefangenem Thunfisch gefunden habe. Allein das Wort schon! Zum Glück war auf einer Dose so ein Delphinsymbol drauf, das wird das dann ja wohl bedeuten. Der war dann aber auch fast doppelt so teuer wie der, den ich sonst kaufe.“
„Du Armer.“
„Ja, mach dich ruhig lustig über mich. Und mit dieser Palmölgeschichte treibt sie mich schier in den Wahnsinn! Du glaubst nicht, wo das überall drin ist.“
Mein Nachbar nickt zustimmend.
„Und die Inhaltsangaben sind ja auch nicht unbedingt so gedruckt, dass sie einem ins Auge springen – dafür aber gerne in zehn Sprachen. Selbst mit Lupe kann ich das meist kaum entziffern. Ich kaufe ja eigentlich ganz gerne ein, aber so macht es keinen Spaß.“
Er schaut mich so mitfühlend an, dass ich einfach weiterrede: „Dabei weiß ich nicht mal, wieso sie kein Palmöl will – ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal genau was das ist – irgendein Öl halt. Aber warum soll das schlecht sein? Ist das mal wieder krebserregend? Hast du eine Ahnung?“
„Der Hauptkritikpunkt an Palmöl ist meines Wissens, dass dafür der Regenwald gerodet wird“, sagt er. „Die Industrie hat vor noch gar nicht so langer Zeit entdeckt, dass das ein sehr preiswerter, aber sehr vielseitig verwendbarer Rohstoff ist. Und natürlich haben sich skrupellose Geschäftemacher sofort dran gemacht gigantische Palmölplantagen anzulegen. Und dafür brennen sie vorzugsweise einfach mal den Urwald ab.“
„Das ist aber nicht schön“, sage ich.
„Nein“, sagt mein Nachbar zustimmend, „das ist nicht nur nicht schön, das ist sogar furchtbar. Und es geht ja nicht nur um die Pflanzen, deine exotischen Tiere erwischen sie damit natürlich auch – die werden vorher nicht evakuiert und schonend umgesiedelt. Wohin auch?“
„Na gut“, stimme ich zu, „das gefällt mir auch nicht – aber so kann man doch nicht einkaufen! Auf was soll ich denn noch alles achten? Keine Delphine, kein Palmöl, faire Schokolade, Bio-Eier, kein Cholesterin, nicht so viel Zucker, und und und …“
„Da stimme ich dir völlig zu“, sagt er. „So kann man nicht einkaufen.“
„Das überrascht mich nun aber doch!“, sage ich erstaunt. „Ich hätte erwartet von dir zu hören, dass das alles wichtig und richtig ist und ich gefälligst genau prüfen soll, was ich kaufe.“
„Was du immer so von mir denkst …“, er schüttelt den Kopf. „Aber du hast prinzipiell recht, ich finde vieles davon grundsätzlich wirklich wichtig. Schließlich ist es in erster Linie unser Konsum, der den Planeten ruiniert. Aber natürlich ist es völliger Quatsch, wenn jeder Einzelne bei jeder einzelnen Einkaufsentscheidung darüber nachdenken soll, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, das jetzt zu kaufen.“
„Da bin ich aber froh, das zu hören! Das sage ich gleich meiner Frau. Da gehe ich gleich wieder viel lieber einkaufen“, sage ich und will mich schon umdrehen.
„Wart mal noch einen Moment“, sagt er. „Es macht durchaus Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, was man so kauft. Ich meine aber, dass es bessere Methoden gäbe das Problem zu lösen. Ich möchte mich doch darauf verlassen können, dass das was ich kaufe, gewissen Standards genügt – und das soll der Gesetzgeber vorschreiben.“ Er schaut mich fragend an. „Nehmen wir den Thunfisch“, sagt er, „da wird man bei uns im Land wohl ziemlich einhellig der Meinung sein, dass dabei Delphinen kein Schaden zugefügt werden darf. Also soll anders gefangener Thunfisch gar nicht ins Supermarktregal gelangen. Punkt.“
„Hmm“, sage ich nachdenklich, „aber scheinbar gibt’s doch da schon so ein, wie sagt man … ? Label. Der Delphin auf der Dose. Wem das wichtig ist, der kann also darauf achten. Und wenn die Industrie merkt, dass sich das eine mehr verkauft und das andere weniger, na, dann passt sie ihr Angebot doch an, oder?“
„Also erstens mal traue ich irgendwelchen selbstausgedachten Gütesiegeln der Industrie nicht über den Weg“, sagt er verächtlich, „das ist doch gerne mal reine Augenwischerei. Außerdem muss immer noch jeder einzelne jedesmal darauf achten. Und das Problem muss einem erstmal bewusst sein.“
„Das stimmt natürlich“, sage ich.
Mein Nachbar fährt fort: „Aber man kann auch ganz grundsätzlich rangehen: Warum soll etwas erlaubt sein, bei dem sich die meisten einig sind, es nicht zu wollen? Warum soll eine Vorgehensweise, die unerwünschte oder schädliche Nebenwirkungen hat, die normale sein? Während die sinnvolle Vorgehensweise die besonders gekennzeichnete Ausnahme ist?“
„So wie du es sagst“, sage ich, „fragt man sich das wirklich.“
„Ja“, seufzt mein Nachbar. „Aber es wird natürlich trotzdem nichts draus.“
„Nein?“
„Nein. Weil die Industrie und ihre Handlanger sich immer mit Händen und Füßen gegen jede Regulierung wehren.“ Er wiederholt es: „Immer. Da wird dann von Verbotskultur schwadroniert und natürlich gefährdet es immer Arbeitsplätze. Da wird die Industrie dann plötzlich zum Anwalt der Verbraucher: ‚Uns geht es in erster Linie darum, dass der Verbraucher die Freiheit der Wahl hat und zwischen einer Vielzahl hochwertiger Produkte frei entscheiden kann‘. Und natürlich haben sie sowieso schon die höchstmöglichen Standards und eine wirksame Selbstverpflichtung … Bla bla bla. Ist immer dasselbe.“
So wie mein Nachbar das da runterleiert, klingt es lustig, aber irgendwie auch vertraut.
„Und wie macht ihr das?“, frage ich. „Dir ist es doch wichtig, auf sowas zu achten, oder?“
„Schon“, sagt er. „Ist eigentlich ganz einfach: Selber kochen. Mit frischen Zutaten. Wenn du keine verarbeiteten oder gar fertig zubereiteten Lebensmittel benutzt, dann hast du viele Probleme gar nicht. Palmöl zum Beispiel, wird dir dann kaum noch begegnen. Zumindest nicht im Essen. Auch wie viel Zucker du zu dir nimmst, hast du dann selbst in der Hand.“ Er macht eine Pause. „Und Thunfisch, naja, den kannst du ja vielleicht ab und zu einfach weglassen.“
Ich schaue ihn zweifelnd an. „Ich esse aber gerne Thunfisch“, sage ich, „der ist lecker.“
„Ab und zu, habe ich gesagt. Kannst es ja mal versuchen“, sagt er seufzend. Er weiß schon, dass ich auf solche Aufforderungen nicht gut anspringe.
Ich denke nach und sage spontan: „Na gut. Den Thunfisch, den ich vorhin gekauft habe, den esse ich nachher nicht nebenbei, sondern mache damit morgen Abend für uns beide Pizza!“
Mein Nachbar schaut mich besorgt an, „du meinst, du belegst damit eine Tiefkühl-Pizza?“
„Nein, nein“, sage ich. „Ich mache den Hefeteig, Tomatensauce und alles – habe ich schon mal gemacht.“ Ich überlege und füge hinzu: „Früher“.
Er nickt und wiederholt: „Früher. So, so.“ Und fügt dann, ein wenig zweifelnd hinzu: „Na dann freue ich mich mal auf die Pizza morgen …“
„Super“, sage ich. Ich bin ganz euphorisch. „Da wird sich meine Frau freuen. Dass ich was koche, meine ich.“
„Bestimmt“, sagt mein Nachbar.