DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Erfolgsstory - Umfragesaga 3

Sag mal“, frage ich meinen Nachbarn, „was ist eigentlich aus dieser Umfrage geworden mit der du mich letztes Jahr so genervt hast?“

„Das war vorletztes Jahr“, sagt er.

„Echt?“, frage ich. „Mann, wie die Zeit vergeht … und was ist nun damit? Hat man nie wieder was von gehört, oder? Hab ich dir ja gleich gesagt.“

„Naja“, sagt er missmutig, „ganz so ist es nicht, aber … Ach, ich weiß auch nicht.“

„Was hast du denn? Erzähl doch mal. Weiß man denn, was dabei rauskam?“

„Schon. Die Ergebnisse wurden dann irgendwann doch veröffentlicht, gab ein bisschen Hin und Her darum, aber ja, irgendwann war alles online.“

„Was denn für ein Hin und Her?“, frage ich. Das hört sich viel versprechend an.

„Ach, nicht so wichtig. Ist ja vorbei.“

„Na, komm“, sage ich.

„Okay, ganz kurz. Also, irgendwann waren die Bögen abgetippt, ich habe alles in eine Datenbank übertragen und daraus dann eine Webseite gebaut. War alles fertig. Ist sogar ganz gut geworden, finde ich.“

„Du hast eine Internetseite gemacht?“, frage ich. „Ich dachte es sollte einfach Grafiken geben, wo man die Stimmverhältnisse sieht, Diagramme und so.“

„Hatte ich auch erst gedacht, aber dabei wäre zu viel unter den Tisch gefallen.“

„Wieso? Zahlen in Diagrammen sind doch eindeutig.“

„Ja“, lächelt er, „wenn’s um Messwerte geht. Aber hier haben wir ja sehr individuelle Meinungsäußerungen. Der Punkt ist, dass die Leute ziemlich viel geschrieben haben.“

„Verstehe“, sage ich, „das kriegst du natürlich nicht in so ein Chart – so sagt man doch, oder?“

Er nickt. „Genau. Aber vor allem versteht man die Zahlen auch nur, wenn man die Texte dazu liest.“

„Wieso? Wenn einer angibt, das und das möchte ich unbedingt, dann ist das doch eindeutig.“

„Nee, dafür waren die Fragen zu allgemein gestellt. Ich hätte ja nie gedacht, dass die Bürgermeister meinen Bogen eins zu eins übernehmen. Das sollte ja nur ein Denkanstoß sein. Er überlegt kurz. Nimm zum Beispiel das Gewerbe, da hieß es: Wie bewerten Sie die Aussage ‚Es sollte in meinem Ort mehr Gewerbebetriebe geben‘.“

Ich nicke. „Da war ich dafür“, sage ich nach kurzem Nachdenken. „Wäre doch super, wenn wir wieder einen Laden hätten … und vielleicht ein Café, mit Bäckerei …“, gerate ich ins Schwärmen.

„Krieg dich wieder ein“, sagt er. „Aber so wie du sehen es viele. Insgesamt sind aber trotzdem die meisten dagegen.“

„Wie viele denn genau?“ frage ich neugierig. Das interessiert mich nun doch.

„Keine Ahnung“, sagt er. „Aber wir können nachsehen wenn du willst.“

„Gerne.“

Er geht also ins Haus und kommt nach ein paar Minuten mit einem Tablett wieder raus. Neben seinem Laptop stehen darauf zwei Gläser, eine Karaffe mit Wasser und eine Flasche Apfelsaft.

„Gute Idee“, sage ich und gieße uns zwei Apfelschorlen ein, während er seinen Computer startet.

„So“, sagt er schließlich und klickt irgendwo hin, „hier sind die Ergebnisse zur Gewerbefrage … und bei uns sind 26 dafür, 14 ist es egal und 36 sind dagegen.“

„Ist jetzt nicht sooo eindeutig, das ist ja fast halbe-halbe“, sage ich und schaue mir an, wie die anderen Orte gestimmt haben.

„Hier zum Beispiel“, sage ich und zeige auf unsere beiden Nachbarorte, „da ist es klar, die sind eindeutig für mehr Gewerbe.“

„Nee, nee, ganz so einfach ist es nicht“, sagt mein Nachbar. „Wie gesagt, du musst gucken was die Leute schreiben.“

„Hier steht aber nix“, sage ich.

„Da müssen wir bei dem einzelnen Ort schauen“, sagt er und klickt auf den Namen unseres Ortes.

Ich scrolle durch die ziemlich lange Liste. Scheinbar hat ungefähr die Hälfte der Leute tatsächlich auch etwas zu der Frage geschrieben.

„Das ist ja ziemlich eindeutig“, sage ich schließlich.

Er lächelt.

„Egal wie sie abgestimmt haben, im Wesentlichen wollen alle dasselbe: Einkaufsmöglichkeiten, ne Gaststätte, eventuell Handwerker. Und auf keinen Fall Lärm oder Dreck.“

Er nickt.

„Und das sieht man den nackten Zahlen einfach nicht an. Die einen sagen ‚Ich will kein Gewerbe, aber wenn überhaupt, dann nen Laden‘, die anderen sagen ‚Ich will Gewerbe – wenn’s ein Laden ist‘.“

„Das ist ja wirklich spannend“, gebe ich zu. „Kann ich mal ein bisschen …?“

„Nur zu“, sagt er.

Ich klicke mich also durch die Seiten und staune darüber, was den Leuten so alles wichtig ist. „Hier tauchen ja ganz schön oft Blühstreifen auf“, sage ich. „Du bist also gar nicht der einzige …“ und hätte fast ‚Spinner‘ gesagt, kriege es aber gerade noch abgebogen zu, „… der sich dafür stark macht.“

„Ja“, nickt er, „hat mich auch gefreut. Und das ist das Tolle an so einer Umfrage: man erfährt, was die anderen wollen.“

„Da ist was dran“, sage ich. „Und du hast recht, das erfährt man nicht aus ein paar nackten Zahlen. Aber was wird denn nun daraus? Hat man das mal systematisch ausgewertet und gesagt, was man angehen will? Zeit genug war ja.“

Er sieht mich ziemlich gequält an. „Ich habe keine Ahnung, aber ich glaube nicht. Da hätte ich wohl von gehört. Aber es gibt bald eine neue Umfrage.“

„Bitte was? Man hat eine aus der man nichts macht und deshalb startet man jetzt noch eine? Geht’s noch?“

„Naja, das ist jetzt eingebunden in eine größere Geschichte, in dieses INSEK.“

„Wegen der Blühstreifen? Geht’s da um Insekten oder was?“

Er lacht. „INSEK steht für ‚Integriertes Stadtentwicklungskonzept‘. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das ein Programm, das Städte und Gemeinden irgendwie bei der Zukunftsplanung unterstützt. Und wenn man das gut macht, kommt man wiederum besser an Fördermittel und so weiter …“. Er schüttelt den Kopf. „Ich hab mir das mal angeschaut, das Programm richtet sich nicht nur an die Verwaltung, sondern an die ganze Zivilgesellschaft – Bürgerbeteiligung ist GANZ wichtig. Aber hast du schon mal davon gehört?“

„Nö“, sage ich.

„Genau“, sagt er, „ich vorher auch nicht. Na, wie auch immer. Die Gemeinde hat jedenfalls ein Büro mit dem Entwurf so eines Entwicklungskonzeptes beauftragt. Nächsten Herbst soll es fertig sein.“

„Und das denken die sich jetzt im stillen Kämmerlein aus oder was?“

„Ganz so ist es nicht“, sagt er. „Erstmal touren sie bei uns durch die Orte, verschaffen sich einen Überblick, fragen die Leute und so.“

„Mich hat noch keiner gefragt.“

„Es gab schon zwei Veranstaltungen, letzten Donnerstag war eine bei uns im Gemeindehaus. Da ging es nur um unser Dorf. Hast du nicht mitbekommen?“

Ich schüttle den Kopf.

„Mann, Mann, Mann“, er grinst, „wenn ich dich nicht überall hinschleife.“

„Und“, frage ich, „wie ist das gelaufen? Waren viele da?“

Mein Nachbar sieht irgendwie unglücklich aus.

„Na komm“, sage ich, „spuck’s aus.“

„Also ich fang mal vorne an, bei der Einführungsveranstaltung für die ganze Gemeinde, Ideenschmiede hieß das, waren vielleicht vierzig, fünfzig Leute. Vor allem die Ortsvertreter. Und, stell dir vor, sie hatten sogar eine Liveübertragung hinbekommen, da waren noch mal gut fünfzig dabei.“

„Nicht schlecht“, sage ich anerkennend.

„Naja, ich hätte mir schon ein bisschen mehr Interesse gewünscht.“

„Ich meinte auch vor allem die Liveschalte.“

„Stimmt“, sagt er, „das war gut. Wir sind tatsächlich in der Moderne angekommen – aber wahrscheinlich nur, weil wegen Corona alle zwei Jahre lang üben konnten. Aber immerhin.“

„Also“, sage ich, „die Großveranstaltung mit Liveübertragung. Was ging ab?“

„Na, es fand in der Turnhalle statt …“

„Unser größter Saal“, grinse ich.

„Genau. Da hingen die Wände schon voll mit Plakaten, vor allem eins für jedes der Hauptthemen: Infrastruktur, Umwelt, Sport und so. Da war viel Platz drauf, da sollten später Stärken und Schwächen notiert werden.“

„Stärken und Schwächen?“, frage ich mit hoch gezogenen Augenbrauen.

„Ja“, sagt er, „bisschen sonderbare Wortwahl – was ist denn die Schwäche der Umwelt? – aber man weiß ja was gemeint ist: Was ist gut und was könnte besser werden? Ungefähr so.“

„Na gut“, sage ich.

„Außerdem hingen da noch Karten und ein paar Texte und Diagramme zur Region: Anbindung, Bevölkerungsentwicklung, Infrastruktur und so.“

„Aha.“

„Na und dann ging es natürlich erst mal mit Gerede los, der Bürgermeister, jemand aus der Verwaltung und so – war erfreulich kurz, zog sich aber trotzdem.“

„Deswegen geh ich zu sowas nicht“, sage ich. „Die texten einen immer nur zu. Da kann ich kaum wach bleiben bei und irgendwie kommt auch nie was dabei raus. Vertane Zeit.“

„Das ging ja noch“, sagt er. „Dann kam nämlich jemand von dem Planungsbüro. Und die hat uns dann erzählt welche Straßen es bei uns gibt, welche Autobahnen und wie weit es nach Berlin ist.“

„Spannend“, sage ich.

„Total. Sie hat uns ungefähr eine Stunde lang erzählt wie es bei uns aussieht, weil sie das bei ihren Voruntersuchungen ja herausgefunden hatten.“

Ich grinse. „Und, bist du aufgestanden und gegangen?“

„Nein“, sagt er, „ich bin ja geduldig. Das wird schon noch“, dachte ich. „Irgendwann ging es dann auch darum, auf den Plakaten Vorschläge für die zukünftige Entwicklung zu machen. Ideen sammeln.“

„Die Stärken und Schwächen.“

„Genau. Das ging erst ein bisschen zäh los, aber nach und nach füllten sich die Zettel doch. Die Leute die online dabei waren konnten auch Sachen einreichen und die wurden dann eingetragen. Das hat gut funktioniert. Am Ende wurde alles noch mal vorgelesen, und das war’s dann. Die Idee ist, dass das, was da im ersten Aufschlag zusammengetragen wurde, jetzt von dem Büro gesichtet und strukturiert wird und dann geht es in die Ortsteile, um da noch mal ganz gezielt mit den Menschen zu reden.“

„Und die alte Umfrage, was ist mit der?“, frage ich. „Da haben doch schon ziemlich viele Leute Ideen formuliert. Das heißt … wie viele waren das eigentlich?“

Er klickt wieder etwas auf seinem Laptop an und sagt dann: „664 – ich hätte mir ja mehr Beteiligung erhofft, aber immerhin.“

„Na, das sind doch fast zehn Prozent“, sage ich. „Und wenn man die Kinder nicht mitrechnet sogar deutlich mehr. Das ist doch schon mal was.“

„Ja“, nickt er, „oft hat man nur so zwei, drei Prozent. Da ist das schon gut. Aber es muss trotzdem mehr werden.“

„Also“, sage ich, „tauchten die Ergebnisse da mit auf?“

„Nee“, sagt er seufzend, „leider nicht. Die Umfrage wurde natürlich erwähnt, mir wurde auch noch mal gedankt, bla bla bla. Aber die Ergebnisse wurden nicht thematisiert.“

„Das ärgert dich, oder?“

„Kollossal.“

„Würde es mich auch“, nicke ich. „So viel Arbeit und wofür?“

„Du verstehst es nicht“, sagt er, „die Arbeit ist mir schnuppe. Ist doch längst vorbei. Ich stecke auch gerne noch mal so viel Zeit rein, wenn es was nützt. Werde ich auch tun. Was mich ärgert ist, dass du die Leute fragst, die machen sich Gedanken, teilen dir ihre Ideen mit und du nimmst das nur zu den Akten.“

„Na, immerhin haben Sie es veröffentlicht.“

„Ja“, nickt er, „aber damit ist es doch nicht getan. Das ist nur die eine Seite der Medaille: Die Bürger bekommen einen Überblick, was ihre Nachbarn so denken. Das ist gut. Aber eigentlich ist doch die Verwaltung gefordert. Die muss das systematisieren und zumindest auf die am häufigsten genannten Punkte mal eingehen, Schlüsse daraus ziehen und die dann wiederum mitteilen. Was soll das Ganze denn sonst.“

Ich versuche mir das vorzustellen und sage schließlich: „Das wäre natürlich super. Da würde ich mich als Bürger wahrgenommen fühlen. Aber … glaubst du das passiert?“

Er sieht mich spöttisch an.

„Schon gut.“

„Ich glaube“, sagt er, „das Problem ist, dass die von Anfang an keinen Plan hatten. Die dachten das geht alles irgendwie von alleine. Deshalb hat ja schon die Übernahme der Bögen so lange gedauert. Sie hatten niemanden eingeplant, der das eintippt. Hätte man eine Zeitarbeitskraft eingestellt, die nichts anderes macht, wäre es in ein paar Tagen erledigt gewesen. So hat die Sachbearbeiterin sich immer mal ein paar Dutzend am Wochenende mit nach Hause genommen. Genauso mit der Auswertung. Und jetzt haben sie eben auch keine Idee, was sie mit den Ergebnissen machen sollen.“

„Typisch“, sage ich.

Er wackelt unentschlossen mit dem Kopf. „Ja und Nein. Eigentlich mache ich ihnen gar keinen Vorwurf, sie sind da wahrscheinlich genau so rangegangen wie du und ich es auch machen würden.“

Ich schaue ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Stell dir doch mal vor“, sagt er, „du wärst die Verwaltung.“

„Bitte nicht“, sage ich.

Er grinst. „Da musst du jetzt durch. Also, plötzlich steht der Vorschlag im Raum, eine Bürgerbefragung zu machen. Du bist in verantwortlicher Position und hast natürlich auch so deine Ideen, wie sich die Dinge entwickeln sollen. Was hältst du dann von dem Vorschlag?“

Ich überlege eine Weile. „Naja“, sage ich schließlich, „wahrscheinlich werde ich denken, dass die meisten Leute genau das gleiche wollen wie ich. Weil das ja vernünftig ist. Und dass so eine Umfrage deshalb eine gute Idee ist. Weil ich dann bei allem was ich anstoßen möchte darauf verweisen kann.“

Mein Nachbar strahlt. „Genau. So eine Herangehensweise wäre jedenfalls menschlich sehr verständlich. Und dann tritt dir leider die verdammte Realität vor’s Knie und die Leute wollen ganz andere Sachen. Und meist auch noch so verdammt unspektakuläre: Blühstreifen, Gemeinschaft im Ort, Radwege, Ruhe, Naturschutz, einen Dorfladen. Das sind jetzt nicht gerade die Projekte die dir vorschweben. Und viel zu kleinteilig. Also bist du auch nicht besonders motiviert, dich damit vertieft auseinanderzusetzen. Zumal ja auch immer noch niemand eingeplant ist, der sich damit wirklich beschäftigt.“

„Also rollt man das noch mal neu aus, ganz professionell diesmal. Beauftragt ein Büro und hofft, dass die am Ende mit einem tollen fertigen Konzept ankommen, aus dem sich dann zackbumm zwei, drei Sachen ableiten lassen für die man Fördergelder abgreifen kann und dann macht man irgendwas – oder auch nicht.“

„Mann“, sage ich, „so optimistisch kenne ich dich ja gar nicht.“

„Naja“, sagt er, „wenn’s laufen würde, wäre ich zufrieden. Aber bisher ist das alles nicht besonders überzeugend. Es gibt zum Beispiel viel weniger Beteiligung als bei der Umfrage. Nimm unser Dorf: Bei der Veranstaltung letzte Woche waren wir …“, er überlegt, „… vielleicht zehn, zwölf Leute. Bei der Umfrage hatten sich …“, er klickt, „… sechsundsiebzig beteiligt. Und der ganze Ablauf …“, er schüttelt den Kopf.

„Nicht so doll?“, frage ich.

Er schaut mich an. „Die Veranstaltung war von vornherein auf eine Stunde begrenzt und in der ersten halben Stunde wurde uns im Wesentlichen unser Dorf vorgestellt, außerdem nochmal der Ablaufplan des Projektes präsentiert.“

Ich schüttle ungläubig den Kopf.

„Dann hieß es: jetzt bitte die Stärken und Schwächen des Dorfes notieren und was wir uns wünschen würden, aber husch husch, weil sie dann gleich ins nächste Dorf mussten und dann war Schluss.“

„Okay“, sage ich gedehnt, „das hattest du dir wahrscheinlich anders vorgestellt.“

„Nö“, sagt er, „ich hatte mir gar nichts vorgestellt. Man denkt ja immer, das sind Profis, die haben einen Plan. Und wahrscheinlich haben sie den auch, aber bisher sehe ich nicht so recht wo er hinführen soll, der Plan.“

„Da kann man ja wirklich gespannt sein“, sage ich, „was da am Ende rauskommt. Aber nach dem, wie du das schilderst, kann die Meinung der Bürger da wohl kaum einfließen. Bei so wenigen ist das ja völlig verzerrt. Allein wenn ich mir vorstelle was du da wohl so alles vorgeschlagen hast. Dann war wahrscheinlich noch deine Frau dabei …“

Er nickt.

„… und noch ein paar mit ähnlichen Ansichten. Dann hört sich das nachher wahrscheinlich so an, als wollten wir ein grünes Musterdorf werden in dem nur noch Ökohäuser gebaut werden dürfen.“

Er grinst. „Du meinst also, ich könnte ganz zufrieden sein?“

„Schon.“

„Bin ich aber nicht. Ich möchte, dass man versucht, zu verschiedenen wichtigen Themen die Meinung des Dorfes in Erfahrung zu bringen. Dazu hätte unsere Umfrage der erste Schritt sein können. Die hat zu den meisten Themen schon mal ein Meinungsspektrum ergeben. Außerdem haben die Leute eigene Wünsche und Ideen formuliert. Ist übrigens spannend“, fügt er an, „musst du dir mal ansehen.“

„Mach ich“, sage ich.

‚Er hat ja recht‘, denke ich, ‚man erfährt aus dieser Umfrage tatsächlich erstaunlich viel darüber, was die Nachbarn sich so denken. Sechsundsiebzig Leute … so viele kenne ich insgesamt kaum im Ort. Und regelmäßig reden tue ich vielleicht mit einem Dutzend. Und dann auch eher über’s Wetter oder den Benzinpreis.‘

„Sag mal“, reißt er mich aus meinen Gedanken, „ihr veranstaltet doch mit eurem Verein gelegentlich so tolle Feste, die ihr dann auch noch mit einem Turnier verbindet.“

„Naja“, sage ich, „das sind ja nur so Spaßturniere, die gehen nicht in die Wertung ein.“

„Schon“, sagt er, „aber da schwärmen doch immer alle so von, weil es so lustig ist und ihr euch immer was Neues einfallen lasst. Wir geht ihr denn daran, also wir plant ihr das?“

„Na“, überlege ich laut, „wir sammeln erst mal Ideen und dann diskutieren wir die. Was dabei gut wegkommt, notieren wir. Danach gehen wir die Liste nochmal durch und entscheiden uns für die besten Vorschläge. Ganz einfach eigentlich. Wieso?“

„Das dachte ich mir“, sagt mein Nachbar, „ihr sammelt Ideen, diskutiert die und überlegt dann noch mal. Sowas würde ich mir für die Entscheidungsfindung bei uns auch wünschen. Und das Wichtige dabei ist die Diskussion: Das alle Interessierten ihre Punkte vorbringen können und man versucht eine Position zu finden, mit der alle leben können. Das wäre der Idealfall, wird natürlich nicht immer klappen.“

„Die ganze Diskussion wird schon nicht klappen“, sage ich. „Entweder kommt keiner oder es kommen zu viele und alle schreien durcheinander.“

„Du bist ein unerschütterlicher Optimist“, lächelt mein Nachbar. „Aber du hast Recht, man muss die Werbetrommel rühren, damit genug kommen. Und es würde sicher auch helfen, wenn es zu einer Zeit stattfindet wo die Leute Zeit haben. Die letzte Veranstaltung war an einem Donnerstag um 15 Uhr.“

„Wer kann denn da?“, frage ich.

„Eben“, sagt er. „Jedenfalls muss die Diskussion natürlich moderiert sein und es müssen Leute dabei sein, die vom Thema was verstehen. Aber dann wird das was.“ Er nickt bestimmt. „Pass auf“, sagt er plötzlich, „neulich in der Ortsbeiratssitzung gab’s ein wunderbares Beispiel für eine richtig fruchtbare Diskussion.“

„Da gehst du hin?“

„Gelegentlich. Also, es ging darum, dass die Straße ‚Am Strandcasino‘ umbenannt werden sollte, zu so was wie ‚Am See‘.“

„Wieso das denn?“, frage ich.

„Dir ist doch sicher nicht entgangen, dass das alte Strandcasino abgerissen wurde?“

„Nein“, sage ich erschüttert. „Da haben wir doch früher immer gefeiert … meine Großeltern haben mir schon davon erzählt, wie sie da früher im Garten Kaffee getrunken haben. Das wird abgerissen?“

„Ist es schon“, sagt mein Nachbar. „Du solltest doch wieder öfter mit mir spazieren gehen. Jedenfalls wird dort ja diese Ferienwohnungsanlage gebaut …“

„Da hast du von erzählt“, werfe ich ein, „jetzt erinnere ich mich.“

„Na“, sagt er, „da ist ja doch noch ´ne Gedächtniszelle übrig. Jedenfalls nehme ich an, dass der Bauherr sich dachte ‚Am See 1‘ wäre doch eine schöne Adresse für mein Objekt und wo ‚Am Strandcasino‘ jetzt ja nicht mehr stimmt, stelle ich mal einen Antrag auf Umbenennung.“

„Klingt plausibel“, sage ich.

„Allerdings gab es in der Sitzung ziemlich viel Gegenwind für den Antrag. Es haben doch eine Menge Leute gute Erinnerungen an das Casino und es ist – oder war – schließlich einer der ganz wenigen historischen Plätze unseres Dorfes.“

„Und wie ist es nun ausgegangen?“, frage ich neugierig.

„Es gab wie gesagt eine ziemlich lebhafte Diskussion, aber schließlich kam jemand drauf, dass die Straße ja wie ein ‚U‘ verläuft. Und dann wurde entschieden, dass der Teil, an dem die neue Anlage liegt, ‚Am See‘ heißen soll und der Rest behält den alten Namen. Eine wahrhaft salomonische Lösung, mit der alle zufrieden sind, die aber erst nach einiger Diskussion und ziemlichem Hin und Her gefunden wurde.“

„Schöne Geschichte“, gebe ich zu.

„Ja“, sagt er, „und so wünsche ich mir das für die Zukunftsplanung der Gemeinde eben auch. Ist ja nicht so, als ginge es um nichts. Das Konzept soll die Grundlage dafür sein, wohin es in den nächsten zwanzig Jahren gehen soll. Da lohnt es sich doch, das richtig zu machen und es nicht nur irgendwie hinzuwurschteln.“

„Da hast du wohl recht“, sage ich, „wobei … du weißt ja, mir wäre es am liebsten, alles bliebe wie es ist.“

„Ach ja“, sagt er, „deine berühmte konservative Grundhaltung.“ Er schüttelt schief lächelnd den Kopf. „Die musst du mir irgendwann mal in Ruhe erklären. Aber nicht jetzt“, setzt er nach, gerade als ich anfangen will zu reden, „jetzt muss ich mir unbedingt eine Idee notieren, auf die du mich gerade gebracht hast.“

„Was denn?“, frage ich.

„Dass ich mal systematisch die Punkte zusammenstelle, die den Leuten im Dorf besonders wichtig sind.“

„Wie bei unserer Festplanung“, stelle ich fest.

„Genau.“ Er überlegt. „Pass auf, ich mach das jetzt mal und morgen zeige ich es dir. Dann überlegen wir weiter. Okay?“

„Okay“, sage ich und verabschiede mich, weil ich den Eindruck habe, dass das jetzt von mir erwartet wird: „Bis morgen!“

Aber er ist schon ganz in seinen Laptop vertieft und winkt nur kurz, ohne aufzusehen.