Herzensangelegenheit
„Sag mal“, frage ich meinen Nachbarn, „ein Kollege hat mir erzählt, dass die Klimaspinner am Freitag wieder demonstrieren – stimmt das?“
„Mal abgesehen davon, dass es natürlich keine 'Spinner' sind“, er setzt das Wort in Anführungszeichen, „ist das richtig. Es kommen hoffentlich wieder so viele Leute wie vor vier Wochen. Ach nee“, sagt er und grinst, „es wird ja einer weniger: Letztens warst du ja auch mit, ‚Um dir den Quatsch mal anzusehen‘, wie du es genannt hast.“
„Na ja“, druckse ich herum, „ich hatte halt sowieso in der Stadt zu tun und das Wetter war ja auch gut …“
„Schon gut“, lacht er, „ich habe mich ja gefreut, dass du mit warst. War doch lustig.“
„Und“, frage ich, „gehst du Freitag auch wieder demonstrieren?“
„Aber selbstverständlich“, sagt er.
Ich weiß nicht so recht, wie ich weitermachen soll und überlege noch, da sehe ich wie er die Stirn runzelt und mich skeptisch ansieht.
„Was ist los?“, fragt er, „Du hast doch irgendwas auf dem Herzen, spuck’s aus.“
„Na ja“, sage ich, „ich hatte überlegt wieder mitzukommen … Ich hab da ja sowieso frei und vielleicht könnten wir danach noch ins Kino oder so …“
Er sieht mich irgendwie misstrauisch an, „du, mit den Klimaspinnern?“ Dann lacht er: „Aber klar, ich freue mich. Einer mehr. Es weiß ja keiner, dass du nicht an die Klimakatastrophe glaubst.“
„Schön“, sage ich. Dann gebe ich mir einen Ruck und stelle die Frage: „Wenn du willst, würde ich sogar dein Schild eine Weile tragen – dann brauchst du es nicht die ganze Zeit halten; habe ich mir überlegt“, schließe ich ein wenig lahm.
Er antwortet nicht, schaut mich nur aus eng zusammengezogenen Augen an, dann lacht er plötzlich los: „Ach daher weht der Wind! Hätte ich mir ja denken können“, er schüttelt den Kopf.
„Wieso“, frage ich unschuldig, „was meinst du denn?“
„Na“, sagt er, „du hast dich erinnert, wieviele junge Menschen mir zu meinem Schild gratuliert haben – vor allem wahrscheinlich, wieviele hübsche junge Frauen, stimmt’s?“
Ich hätte es mir vorher denken können, wir kennen uns einfach zu gut. Ich gebe es also zu: „Das war aber doch auch wirklich unglaublich!“, ich kann es immer noch nicht fassen, „dauernd haben sie dir zugewunken, wollten Selfies mit dir machen, ständig hochgereckte Daumen – in meinem ganzen Leben haben mich noch nicht so viele junge Menschen angelächelt, wie dich in zwei, drei Stunden.“
„Stimmt“, nickt er. „Ich war auch total überrascht. Und ich gebe zu, es war ein gutes Gefühl. Verstehe ich, dass du da Lust drauf hast.“
Ich nicke erleichtert.
„Aber“, fügt er an, „du könntest dir natürlich auch selber was ausdenken und mit einem eigenen Schild gehen, oder? Vielleicht …“, er überlegt, „Ich glaube zwar nicht an den Klimawandel, gehe aber gerne spazieren.“
„Sehr lustig“, sage ich. „Das würde wohl kaum besonders positive Reaktionen geben.“
„War nur Spaß“, sagt er. „Du kannst mein Transparent haben, ich mache mir sowieso ein neues.“
„Echt?“, frage ich erfreut, „Super! Was soll denn draufstehen?“
„Verrat ich noch nicht“, sagt er. „Und ich bin auch noch nicht ganz sicher – aber es wird deutlich düsterer als das Letzte.“
„Gut“, sage ich, „dann kommen die lächelnden jungen Frauen zu mir und du kannst die düsteren haben. So machen wir’s.“
„Ja“, sagt er, „so machen wir’s. Schön, dass du diesem Wahnsinn etwas Positives abgewinnen kannst.“