DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Vorgelesen

Also mein Alter, was ich dir da neulich über das Klimageld berichtet habe, das war … na ja, nicht falsch, aber wohl nur ein ziemlich kleiner Ausschnitt. Es geht schon mit dem Namen los, Erdtaler.

Als ich nämlich den Brief neulich abends vorlas … Hmm, vielleicht sollte ich dir das erstmal erklären, habe ich glaube ich noch nicht gemacht. Es ist ja nun mal so, dass es ja keinen Sinn hat, meine Briefe an dich abzuschicken. Also habe ich damals den ersten abends vorgelesen. Du fragst dich jetzt vielleicht: „Vorgelesen? Wem denn um alles in der Welt? Deiner Frau?“. Nein, sie ist ja auch schon vor langer Zeit gestorben.

Aber es ist ja vieles, eigentlich alles, anders als früher. Und eins davon, was mir sehr gut gefällt ist, dass wir wieder viel mehr miteinander machen. Familien wohnen beieinander, alle sind in irgendwelchen Gruppen aktiv, die Nachbarn gehen ein und aus, es gibt dauernd irgend etwas zu besprechen, zu planen, zu tun, dazu die vielen Kinder, kurz: es ist ganz schön was los. Also hat es sich so eingebürgert, dass man die Leute die abends da sind, eben auch bewirtet. Das ist auch gar kein großes Problem, weil natürlich alle mithelfen (ich bin aber nicht unglücklich, dass ich immer erst gerufen werde wenn alles fertig ist, einer der wenigen Vorteile des Alters).

Und an so einem Abend, als wir besonders viele waren - wir sind ja sowieso viele, ich glaube an die zwanzig Leute wohnen hier - aber da war eben auch noch eine Menge Besuch da, na jedenfalls habe da ich einfach mal meinen ersten Brief an dich vorgelesen. Das war ein Ding, sage ich dir! Zuerst wurde noch gewitzelt, aber ganz schnell war es mucksmäuschenstill. Manche kannten dich ja auch noch. Da ist so manche Träne geflossen, nicht nur bei mir. Na ja, jedenfalls hieß es nachher, ich solle das unbedingt weitermachen und wie toll sie das fänden und so. Aber das mache ich ja sowieso. Was ich aber gemerkt habe: Für die jungen Leute, die die Welt ja nur so kennen, wie sie jetzt ist, ist es total interessant zu hören, was für mich die wichtigen Veränderungen gegenüber früher sind.

Und so lese ich seitdem abends immer mal meine Briefe vor. Oft sogar mehrfach, weil ja immer etwas andere Leute da sind. Aber alle wissen davon und irgendwer fragt dann immer, ob es schon wieder einen neuen gibt. Wenn’s keinen gibt, lese ich dann oft einen älteren vor, weil der eine oder andere ihn noch nicht kennt. Das spannende ist, dass sich daraus fast immer heiße Diskussionen ergeben, meist geht es Jüngere gegen Ältere.

Aber, um mal zum eigentlichen Thema zurückzukommen, als ich neulich den vom Klimageld vorlas, ging es alle gegen mich.

Es begann wie gesagt schon mit dem Namen, Erdtaler hatte ich es ja genannt. Darüber kriegten sie sich gar nicht mehr ein. Und dann erklärten sie mir, dass das ganz am Anfang tatsächlich mal der Name des Klimageldes war, aber auch nur bei uns. Heute ist es für alle einfach der Eco. Sie sprechen es natürlich Englisch aus: Iko. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die jungen Leute heute die halbe Zeit Englisch sprechen – und auch andere Sprachen: Spanisch, Französisch, Portugiesisch, manche sogar Chinesisch. Es ist sehr beeindruckend. Einmal habe ich auf einer Versammlung ein junges Mädchen erlebt … naja, vielleicht war sie auch schon eine junge Frau, von meinem Alter aus gesehen verschwimmt das alles ein wenig. Jedenfalls konnte sie mit praktisch jedem sprechen. Es war unglaublich. Der Punkt war nämlich, dass mehrere Dutzend Flüchtlinge zu uns gekommen waren. Sie baten hier bei uns um Aufnahme, weil in ihrem Ort … aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls waren das Menschen aus aller Herren Länder und dieses Mädchen konnte sich mit allen verständigen. Mit allen! Nachher habe ich erfahren, dass sie in einem Flüchtlingslager geboren wurde und dort lebte, bis sie zwölf war. Sie sprach mehrere Sprachen fließend und eine ganze Menge so halbwegs. Darunter ganz obskure Dialekte. Deutsch hatte sie ganz schnell gelernt. Man hat gesehen, wie unangenehm es ihr war, so im Mittelpunkt zu stehen, aber ohne sie hätten wir keine Chance gehabt. Zum Beispiel als … Sag mal, was wollte ich denn eigentlich erzählen?

Ach ja, der Eco. Sorry, in letzter Zeit schweifen meine Gedanken gerne etwas ab. Jedenfalls waren alle ganz wild darauf mir zu erklären, dass ich das ganz falsch erklärt habe. Ich hätte unbedingt noch dies und das und auf jeden Fall dieses und jenes anführen müssen. Wenn ich ehrlich bin: Das meiste habe ich schon wieder vergessen. Und ich werde auch schon wieder ziemlich müde. Ich fürchte, ich muss dir das in einem weiteren Brief genauer erklären.

Aber immerhin so viel: was ich dir schrieb war nicht falsch, jeder bekommt automatisch ein monatliches Guthaben. Aber das ist nicht alles. Man kann Ecos auch verdienen. Und zwar indem man sinnvolle Dinge tut, zum Beispiel CO2 bindet. Aber es gibt auch noch eine Menge anderer Möglichkeiten. Wie reimte der Freund meines Enkels Robert so schön: Ecos verdient man am besten mit Sachen, die früher nur Idealisten machten, weil sie keinen Gewinn einbrachten.

Und da es mittlerweile praktisch überall auf der Welt anerkanntes Staatsziel ist, die Ökosphäre zu heilen, gibt es eben Geld, wenn man dazu beiträgt.

Ich lasse mir noch mal erklären, wie das im Einzelnen funktioniert, versuche es mir auch zu merken und schreibe es dir dann ein andermal.

Bis dahin.