DINGS OHNE D

Dorfgespräche und andere Geschichten

Gottesgärten

Sag mal“, frage ich meinen Nachbarn, „übertreibst du es nicht langsam ein bisschen mit deinem …“, ich überlege, wie ich es nennen soll, schwanke zwischen ‚Dschungel‘ und ‚Unkrautzuchtanstalt‘, entscheide mich dann aber doch für: „Naturgarten?“.

Er lächelt mich freundlich an. „Was meinst du?“

„Na, ich meine natürlich: Ja, du übertreibst es“, sage ich bestimmt.

„Du hast mich falsch verstanden“, erwidert er, „ich meinte: In welcher Hinsicht übertreibe ich es?“.

„Das ist doch wohl klar, euer Garten wuchert doch total zu. Da hat nichts mehr irgendeine Form, alles wächst wie es will. Der Rasen ist eine Wiese, deine Einfahrt ist bald komplett überwuchert und überall liegt verrottendes Holz. Dann dieser hässliche Birkenstamm, der vor sich hin fault. Dazu noch alle paar Meter ein Baumstumpf ….“, ich schüttle den Kopf und füge verwundert an: „Wann hast du eigentlich die ganzen Bäume gefällt? Ist mir gar nicht aufgefallen.“

Mein Nachbar lächelt immer noch, „war’s das?“.

„Nee“, sage ich. „Dazu kommt, dass bei uns plötzlich überall Brennesseln wachsen. Ich habe so eine Idee, wo die wohl herkommen. Genau wie der Löwenzahn in meinem Rasen. Und du könntest wirklich mal die Hecke schneiden.“

Sein Lächeln sieht plötzlich traurig aus und schon tut er mir wieder leid. „Ich helf‘ dir auch mit der Hecke“, sage ich um ihn aufzumuntern.

„Die kann ich jetzt nicht schneiden“, sagt er. „Die blüht gerade.“

„Quatsch“, sage ich, „wo blüht die denn?“.

„Schau mal genau hin, die Blüten sind ziemlich klein und unscheinbar.“

„Stimmt“, muss ich zugeben. „Aber dann spricht doch auch nichts gegen’s Schneiden – wenn man die Blüten sowieso nicht sieht. Hat doch niemand was davon.“

„Durchaus“, erwidert er. „Gestern habe ich hier eine halbe Stunde gesessen und ein Dutzend verschiedene Insektenarten kamen an die Blüten. Die sind alle sehr froh darüber.“

„Über die winzigen Dinger?“, sage ich.

Er nickt. „Sogar die dicken Hummeln bedienen sich dran.“

„Von mir aus“, sage ich, „aber mal im Ernst: Wegen der Insekten schneidest du deine Hecke nicht?“.

Er zuckt die Achseln. „Klar. Genau so, wie ich dafür überall Holzstumpen aufstelle – ich hab da nichts gefällt. Ich buddel die als Insektenfutter ein … und die Insekten sind wiederum Vogelfutter.“

„Aber die … wie soll ich sagen … die verrotten da doch einfach nur. Das nützt doch niemandem was.“

„Verrotten“, sagt er geduldig, „ist doch nur unser Begriff dafür, dass das Holz nach und nach zersetzt wird.“

„Genau“, sage ich.

„Zersetzt wird“, sagt er und betont das ‚wird‘. „Das sind unzählige Insekten, Pilze und Mikroorganismen die das machen. Die leben alle von den verschiedensten Holzbestandteilen. Und voneinander. Und Vögel dann wieder von den Insekten. Mittlerweile haben wir drei verschiedene Arten Spechte im Garten. Die kommen immer wieder und bedienen sich hier: Der Schwarzspecht, der Grünspecht und jede Menge Buntspechte. Die brüten sogar bei uns.“

„Buntspechte kenne ich“, sage ich nachdenklich. „Die anderen habe ich noch nie gesehen.“

Er dreht die Handflächen nach oben und zieht ein wenig spöttisch die Augenbrauen hoch, als wolle er sagen: ‚Was sollen sie auch bei dir, da gibt’s für sie ja nichts zu holen.‘ Ich bin nämlich ziemlich stolz darauf, dass ich meinen Garten gut im Griff hab. Da liegt nichts rum und alles ist tadellos in Form.

„Na gut“, sage ich, „deine Baumstümpfe sind zwar hässlich, stören mich aber nicht weiter …“.

„Hässlich?“, unterbricht er mich und klingt nun doch verärgert. „Die sind nicht hässlich, das sind lebendige Skulpturen. Da kann man dem Leben bei der Arbeit zusehen! Wir gehen abends gerne durch den Garten und schauen uns an, wie sich alles verändert: Wie die Pflanzen wachsen und sich ausbreiten, aber auch wie das Totholz sich von Woche zu Woche verändert. Wir haben einen Stumpf, da ändert sich regelmäßig die Farbe der Pilze darauf. Und der Birkenstamm hinten ist der Hammer …“. Er überlegt. „Komm mal rüber“, sagt er dann kurzentschlossen. „Den musst du dir ansehen.“

Ich zögere kurz, komme dann aber doch zu ihm rüber und wir gehen zu der Birke die vor ein paar Jahren abgestorben ist und gefällt werden musste. Er hat aber nur die Krone wegnehmen und gut zehn Meter Stamm stehen lassen.

„Schau sie dir an“, sagt er stolz. „Ist das nicht großartig?“

Und ich muss zugeben, es hat was. Der Stamm scheint vor allem aus Löchern zu bestehen. Offensichtlich haben die Spechte ihm ordentlich zugesetzt.

„Es ist uns immer eine Riesenfreude“, sagt er strahlend, „zuzuschauen, wie er sich Jahr für Jahr verändert. Und in den Spechthöhlen brüten immer wieder Vögel.“

„Na ja“, sage ich und überlege, was mich daran trotz allem stört. „Mir ist es zu morbide“, sage ich schließlich, „überall totes Zeug“ und zeige herum. Es ist ja nicht nur das tote Holz, überall liegt noch altes Laub und an allen Ecken und Enden stehen tote, trockene Stengel von abgeblühten Stauden hoch. „Bei mir lebt alles“, trumpfe ich auf, „alles grünt und blüht, keine toten, vertrockneten Teile und jede Pflanze hat ihren Platz, kommt für sich zur Geltung. Ich finde, so muss ein Garten aussehen.“

„Au weia“, sagt er, „jetzt wird’s ja noch richtig grundsätzlich“. Er überlegt. „Sag mal“, meint er plötzlich, „willst du eigentlich was trinken? ‚Ne Apfelschorle?“.

„Gerne“, sage ich und er verschwindet, um gleich darauf mit einer Karaffe Wasser, Gläsern und Apfelsaft wiederzukommen. Wir setzen uns und er schenkt uns ein.

„Wo waren wir eben?“, fragt er, als wir jeder etwas getrunken haben. „Ach ja, morbide Vielfalt gegen lebendige Wüste.“

„Na ja …“, sage ich und will Einspruch gegen die Wüste einlegen.

Aber er kommt mir zuvor: „Also“, fängt er an und überlegt noch einen Moment, „meiner Meinung nach passt dein Garten – der ja“, fügt er schnell ein, „auf eine Art auch ganz schön ist, sehr gut in unsere Gesellschaft“. Er nickt vor sich hin.

„Wieso das?“, frage ich verwundert.

„Na, es kommt doch eigentlich überall nur noch auf’s Aussehen an: Zeug verkauft sich, nicht weil es besser ist, sondern weil es besser aussieht. Restaurants gestalten ihre Speisen so, dass sie auf Instakram-Fotos gut wirken. Die Leute legen sich sogar Hunde zu, die optisch besonders viel hermachen.“ Er schüttelt verständnislos den Kopf. „Jagdhunde oder sogar Schlittenhunde.“

Als er das sagt, sieht er völlig entgeistert aus.

„Aber das ist doch irgendwie auch verständlich, oder?“, frage ich entschuldigend. „Wenn ich die Wahl habe, nehme ich natürlich das, was besser aussieht. Ist doch normal, oder?“

„So ist es ja eben nicht“, sagt er ruhig. „Die Dinge werden ja nicht Punkt für Punkt miteinander verglichen und dann macht ein etwas besseres Aussehen vielleicht den Unterschied. Es geht von Anfang an nur um’s Aussehen.“

Er grinst mit einem Mal.

„Warum lachst du?“, frage ich, verwirrt von seinem plötzlichen Stimmungsumschwung.

„Weil mir gerade auffiel, dass diese Absurdität wirklich keine Grenzen kennt.“

Ich schaue ihn fragend an.

„Na ja“, sagt er, „die Menschen machen dabei ja nicht mal vor sich selber halt. Schönheitsoperationen boomen, genauso alle Arten von Pflegeprodukten und Kosmetika, Selfies werden mit Filtern ‚optimiert‘, Falten werden weggespritzt, wer ins Sportstudio geht, will vor allem gut aussehen … es ist endlos.“

„Ja“, stimme ich zu, „das ist manchmal schon krass. Andererseits ist es doch auch schön, gut auszusehen. Irgendwie verständlich, wenn man was dafür tut.“

„Klar“, nickt er, „wenn das Wesentliche auch stimmt und das gute Aussehen ist dann das Sahnehäubchen oben drauf. Kein Thema. Aber hast du den Eindruck, dass die Leute auf die … wie soll ich sagen …“, er überlegt einen Moment, „… auf die Optimierung ihrer inneren Werte ebensoviel Wert legen, wie auf ihr Äußeres?“

Ich muss wider Willen lachen. „Eher nicht.“

„Und das meine ich. Deshalb passt ein Garten, in dem alles auf ein schönes, gefälliges Erscheinungsbild getrimmt ist, auch so gut in eine Gesellschaft, in der es vor allem um eine schöne Fassade geht.“

Wie so oft, fühle ich mich von ihm ziemlich angepisst, weiß im Moment aber auch nicht so recht, was ich ihm erwidern soll.

Vielleicht hat er meine Stimmung bemerkt, jedenfalls fährt er – schon wieder sehr viel versöhnlicher, fort: „Versteh mich bitte nicht falsch, euer Garten ist wirklich schön anzuschauen und das ist durchaus auch eine Qualität für sich.“ Er nickt. „Schließlich gibt es genug Gärten, die sind ökologisch nutzlos und hässlich.“ Er betont übertrieben das ‚und‘.

„Ein Garten ist ja sozusagen ein Sinnbild der Lebenskraft“, fährt er fort. „Und so wie das Sprießen und Erblühen dazu gehört, ist eben auch das Reifen und Verwelken, das Sterben und Verwesen ein Teil davon. Blenden wir das aus, fehlen entscheidende Teile. Wir unterbrechen die Kreisläufe des Lebens.“ Er sieht mich mit einem entschuldigenden Lächeln an.

„Abgestorbene Pflanzen sind Heimstatt und Nahrung für andere, für andere Pflanzen und für Tiere.“ Er deutet auf ein Beet, in dem eine Menge trockenes Laub liegt. „Unter dem Laub bleibt es länger feucht – gut für Insekten, Würmer und Mikroorganismen. Und nach und nach wird es dann von den Bodenbewohnern gefressen. In den abgeblühten Stengeln“, er zeigt auf ein anderes Beet, „legen Insekten ihre Brut an. In den Brennesseln ..“, er sieht mich an, „hast du eigentlich was gegen Schmetterlinge?, fragt er plötzlich.

„Natürlich nicht“, sage ich. „Jeder freut sich doch über Schmetterlinge.“

„Klar“, sagt mein Nachbar, „ich auch. Und deshalb lasse ich die Brennesseln wachsen, überall wo es passt. Denn die Raupen der meisten heimischen Schmetterlinge brauchen die. Und ohne Raupen – keine Schmetterlinge.“

„Hmm“, sage ich und denke, dass ich auf Raupen ja nun keine Lust habe.

„Das ist ja alles schön und gut“, sage ich schließlich, „aber dein Garten wird mehr und mehr zum Dschungel. Da hat nichts Form und Struktur, alles wuchert und wächst ineinander. Ein Garten ist nun mal etwas angelegtes, geplantes. Er soll doch schön aussehen, dem Auge etwas bieten, die einzelnen Pflanzen müssen zur Geltung kommen können. Aber natürlich auch mit dem Rest harmonieren. Alles muss stimmig sein.“

„Hört sich für mich mehr nach einer Kunstinstallation an“, sagt mein Nachbar.

„Ja“, sage ich, „warum nicht. Einen schönen Garten anzulegen ist ja auch eine Kunst.“ Ich überlege, woran mich das erinnert, dann fällt es mir ein: „Lebendige Kunst, von der Natur geschaffen, vom Menschen vollendet“, sage ich.

Er schaut mich überrascht an. „Ist das von dir?“, fragt er schließlich.

„Hab ich neulich in einem Gartenprospekt gelesen“, gebe ich zu.

„Das trifft’s wirklich gut“, sagt mein Nachbar.

„Wundert mich“, sage ich, „dass dir das gefällt“.

„Gefällt mir überhaupt nicht. Bringt’s aber auf den Punkt: Egal worum’s geht, wir glauben, es besser zu können als die Natur.“

„Naja“, sage ich und schaue mich demonstrativ um, „sei mir nicht böse, aber ich finde, dass ich meinen Garten auch besser hinbekommen habe, als wenn ich es der Natur allein überließe. Aber ich habe … wie soll ich sagen … halt auch einen gewissen ästhetischen Anspruch.“

Um das weniger hart klingen zu lassen, versuche ich, es in einem übertrieben hochmütigen Tonfall zu sagen. Das scheint aber nicht die gewünschte Wirkung zu haben. Ganz im Gegenteil.

„Ja“, nickt er und sieht plötzlich regelrecht verbittert aus. „Du, und Millionen anderer Gartenbesitzer. Ihr lasst euch von Gartenzeitungen, Gartensendungen und Gartencentern erzählen was schön ist – und das macht ihr dann. Und freut euch, wie superindividuell ihr euch in eurem Garten verwirklicht habt. Was für ein Kunstwerk ihr geschaffen habt. Toll.“

Ich überlege noch an einer Antwort, da fährt er schon fort: „Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die moderne Landwirtschaft die natürlichen Lebensräume großflächig vernichtet. Nein, jeder muss auch noch in seinem kleinen Stück Garten dafür sorgen, dass dort nur ganz genau das wächst, was er meint, dort haben zu müssen. Super. Jeder ein kleiner Herrgott. Aber einer von der alten, üblen Sorte. Mit Unkrautbrenner, Giftspritze und Fugenkratzer. Ich könnte kotzen.“

Ich sehe, wie es in ihm brodelt. Aber dann fängt er sich wieder, lächelt mich an und sagt entschuldigend: „Sorry. Aber das musste mal raus. Magst du noch was trinken?“.

Er überlegt. „Ich glaube, es ist auch noch Kuchen da.“